Grenzen der Sehnsucht
während der Pubertät entgegenbracht hatte, endlich abzuschließen. Hesse ist ja ein Pilger der Krisis, der durch Überhöhung seiner Emotionen und seiner Rebellion nur einen scheinbaren Lösungsweg anbietet. Unterschwellig spielt das Homoerotische eine große Rolle bei ihm; es gibt in seinem Werk keine Frau, die ein literarisches Eigenleben führt. Als Jugendlicher hat Hesse bei mir, wie bei vielen anderen Jugendlichen auch, schon allein deshalb einen Nerv getroffen, weil der mit seiner rebellischen Art der Spießigkeit etwas entgegensetzte. Aber letztlich war mir Hesses Art der Auseinandersetzung damit zu esoterisch und zu antipolitisch. Er musste sich über alles Rechenschaft ablegen, alles niederschreiben. Das hat mit dem Pietismus zu tun, bei dem es nicht die Möglichkeit der Beichte und der Absolution gibt, wie bei den Katholiken.“
Auch Hesse hatte seine Kindheit und Jugend im Schwäbischen verbracht, genau wie Beck, der im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt geboren ist und in Sindelfmgen aufwuchs. Und obwohl er sich gar nicht richtig als Schwabe fühlt – die Mutter stammt aus Sachsen, der Vater war Sudetendeutscher – lässt Beck dann doch einige typisch schwäbischen Eigenschaften erkennen: ein adrettes Erscheinungsbild, Disziplin und Fleiss. Das bescheinigte ihm sogar mal die Bild -Zeitung, die in einem Artikel vorrechnete, dass Beck beim Redenhalten, Antragstellen und Gesetzesentwürfe-Ausdenken alle anderen Abgeordneten übertrifft.
Es herrscht eine eigentümliche Atmosphäre hier in den Bundestagsbüros gegenüber vom Reichstagsgebäude. Eine eigene, abgeschottete Welt, die nichts mit all dem zu tun hat, was da draußen auf der Straße abgeht. Die Parlamentarier, die nicht von sich aus darauf kommen, Kontakt zur rauen Berliner Wirklichkeit zu suchen, werden mit ihr auch nicht konfrontiert. Am Empfang wird mit rheinischem Akzent gesprochen und rheinische Höflichkeit gepflegt. Besucher müssen angemeldet sein, ihren Ausweis am Eingang abgeben und einen Metalldetektor passieren, wie beim Einchecken am Flughafen, und so ähnlich sieht es auch dahinter aus: eine große Lobby, ein paar Designer-Stühle und elektronische Anzeigetafeln. Nur dass sie keine An- oder Abflüge ankündigen, sondern Uhrzeiten, die Nummern der Sitzungsräume und Themen der unterschiedlichen Ausschüsse.
Auch das Büro von Beck hat etwas Abgeschottetes. Von dem grandiosen Blick über den Berliner Tiergarten bekommt er kaum etwas mit, so wie er seinen Stuhl am Schreibtisch positioniert hat. Da schaut er beim Arbeiten nämlich auf die Wand, an der ein Panoramabild von Köln hängt, seiner Wahlheimat, in der er nun seit vielen Jahren mit seinem Lebensgefährten lebt. Auf dem Regal liegt eine Jux-Brille; sie hat die Form des Kölner Doms.
„Ich bin inzwischen ein großer Karneval-Fan“, bekennt Beck und grinst dabei übers ganze Gesicht.
Aha. So viel Frohsinn würde man ihm, der eher spröde wirkt, nun wirklich nicht zutrauen. Und schon gleich gar nicht, wenn man seine Website studiert hat, denn dort findet sich kaum ein Thema, das nicht einen todernsten Hintergrund hätte. Diskriminierung von Schwulen und Lesben nimmt da nur einen kleinen Teil seiner Arbeit ein. Darüber hinaus kümmert er sich um Zwangsarbeiter, Euthanasiegeschädigte und Zwangssterilisierte, also um die vergessenen Opfer des Nationalsozialismus. Themen, die das schlechte Gewissen dieses Landes ausmachen und mit denen sich sonst kaum ein Politiker beschäftigen will. Denn von den Medien wird für das Engagement nicht überbordend viel Aufmerksamkeit gespendet.
Wo nimmt er denn die Anerkennung für seine Arbeit her? Irgendetwas muss einen doch dazu motivieren?
„Ich lerne Menschen mit persönlichen Schicksalen kennen, bei denen die Integration in die Gesellschaft nicht gelungen war. Es gibt mir Befriedigung, wenn ich ihnen helfen kann.“
Das hört sich so ehrenwert an, dass man gar nicht mehr wagt, weiter nachzubohren. Und weil er sich hauptsächlich in so ernsthaften Themen engagiert, die von Grund auf an politischer Korrektheit nicht mehr zu übertreffen sind, hat er für manche eine Art Nimbus der Unantast-barkeit erreicht. Andere wiederum scheinen sich davon erst recht provoziert zu fühlen.
Ausgerechnet schwule Journalisten sind es, die ihn regelmäßig mit geifernden Schmähartikeln attackieren. Verständlich wäre, wenn sie sich mit seiner politischen Haltung auseinander setzen würden, denn nicht jeder muss unbedingt für die Homo-Ehe Partei
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