Grenzen der Sehnsucht
in Göttingen. Auf der Website der Kneipe werden, wie ich später herausfinde, Fotos von der Verleihung und der anschließenden Party gezeigt; die Stimmung war offensichtlich nicht schlecht.
Was muss man denn machen, um sich so einen Pokal zu verdienen?
„Nichts“, wehrt er die Frage ab, als wäre sie ihm peinlich. „Ich kenn den Betreiber schon seit 25 Jahren. Als Berufsschwuler gehe ich eigentlich nicht häufig aus in Göttingen, ich bin hier überall nur ,der Jörg von der Aids-Hilfe’, und das macht es für mich schwer, mich von meiner Arbeit abzugrenzen und privat zu sein. Um auszugehen und Männer kennen zu lernen, fahr ich lieber nach Kassel oder Hannover. Dort habe ich inzwischen einen großen Bekanntenkreis.“
Hat er denn keinen festen Freund?
„Ich lebe mit einer Frau aus der alten WG von früher zusammen; wir wohnen schon seit 25 Jahren unter einem Dach, wie ein altes Ehepaar. Einen festen Freund habe ich nicht, und mir fehlt auch nichts. Mir ist nie langweilig, und alleine in Urlaub zu fahren ist auch kein Problem für mich. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, wie es jetzt ist.“
Impulse aus dem Südwesten
Ein Termin bei Volker Beck
Ein ergreifender Abschied: Zwei Männer auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof küssen sich leidenschaftlich. Niemand von den Passanten stört sich daran. Und das, obwohl die Szene augenscheinlich zu einer Zeit spielt, in der noch nicht mal das Wort „schwul“ geläufig war, jedenfalls sehen die historischen Kostüme der Passanten auf dem Plakat nach einer Epoche aus, in der sich Schwule noch Urninge nannten. Das mit einem blassrosa Farbton unterlegte Schwarzweiß verstärkt den Nostalgie-Effekt.
Umso mehr fällt die Schlagzeile unter dem Bild ins Auge: Schwul. Selbstbewusst. Selbstbestimmt. Selbstver ständ lich. Die Grünen.
Das hört sich ganz zeitgemäß an. Tatsächlich ist der Plakatentwurf selbst schon wieder historisch: Er stammt nämlich aus dem Jahr 1986. Einer von den beiden knutschenden Männern ist Volker Beck, heute Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Partei im Deutschen Bundestag.
„Das war das politische Coming-out der Grünen“, erinnert sich Beck an den ganzen Wirbel um das Plakat, von dem eines hier in seinem Berliner Bundestagsbüro hängt. Ausgetüftelt wurde der Entwurf damals im baden-württembergischen Arbeitskreis Schwule bei den Grünen, der eine Zeit lang die Nase vorne hatte in der bundesdeutschen Homo-Politik. Die wichtigen Impulse kamen aus Tübingen und Stuttgart.
„Wir haben zu dieser Zeit die Themen gesetzt; die anderen durften sich daran abarbeiten“, sagt er. Natürlich nicht ohne eine gewisse Genugtuung in seiner Miene.
Heute kann er sich zugute halten, dass es ohne ihn die Homo-Ehe in Deutschland nicht geben würde, nicht auf absehbare Zeit jedenfalls, und vermutlich wäre damit auch die gesellschaftliche Akzeptanz für Schwule und Lesben längst nicht so weit gediehen.
Wer aus den Regierungsparteien hätte sich dafür schon mit der nötigen Beharrlichkeit auf zähe Verhandlungen eingelassen? Und das ausgerechnet mit einer Union, von der heute schon wieder vergessen ist, wie verbissen sie die Gleichstellung von Schwulen und Lesben verhindern wollte? Vor allem wegen seiner Kampfeslust um die Homo-Ehe gilt Beck unter Parlamentariern als „harter Knochen“.
Dabei wollte er ursprünglich gar keine Schwulenpolitik machen.
Mehr als 20 Jahre sind vergangen, seit ich Volker Beck zum ersten Mal begegnete. Es muss in den frühen achtziger Jahren gewesen sein, auf einer Demo gegen Ausländerfeindlichkeit auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Dort stand er mit der aktuellen taz -Ausgabe unter dem Arm. Politisch war er schon damals aktiv, und zwar in verschiedenen linken Gruppen, vor allem in der Friedensbewegung. Obwohl er schon in seiner Jugend aus seinem Schwulsein kein Geheimnis gemacht hatte, war es für ihn politisch kein Thema, bis er an den Kreisverband der Grünen geriet.
Wie kam es dann zu seinem Sinneswandel?
„Ich stellte fest, dass Schwulenpolitik der Bereich mit dem größten Personalmangel war, und ich fand, dass jemand etwas tun müsste. Obwohl ich auch der Meinung war, dass nicht unbedingt ich derjenige sein müsste. Ich wollte Kunsthistoriker werden!“
Kunstgeschichte, Geschichte und Germanistik waren seine Studienfächer.
In letzterem Fach hat er übrigens eine Hausarbeit verfasst, die sich mit Homoerotik im Schaffen von Hermann Hesse auseinandersetzt.
„Aber auch nur, um mein Interesse, das ich ihm
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