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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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dass sich die meisten an diese klischeehaften Verhaltensweisen angepasst haben. Dazu gehörte auch, dass man Abba und Marianne Rosenberg hört.“
    Selbst bei Anarchoschwulen sind diese alten Kamellen angesagt, ob mit oder ohne ironische Distanz. Geändert hat sich das bis heute kaum. Doch was kann man dagegen tun? Muss man zu einem Boykott von Er gehört zu mir und Dancing Queen aufrufen?
    „Manchmal hör ich das ja auch gerne“, gesteht Lechner ein. „Das ist schließlich Musik, mit der ich groß geworden bin. Aber ich habe mich weiterentwickelt. Wenn acht Abba -Songs hintereinander gespielt werden, bin ich genervt. Musik hat für mich eben auch eine soziale Komponente. Wie soll ich jemanden angraben, wenn im Hintergrund Ich bin wie du läuft?“
    Keine Ahnung. Das dröhnende Gitarrengekreische von Highway to Hell, das gestern Abend lief, scheint mir für diesen Zweck jedoch auch nicht unbedingt der Bringer zu sein. Aber das ist, wie so vieles, eine Frage des Geschmacks, und ich verstehe im Grunde voll und ganz, was er meint.
    „Die schwule Musikszene ist so vielschichtig, und keiner weiß es. Da gibt es zum Beispiel die Hidden Cameras, eine Folkband aus Kanada. Ban Marriage heißt einer ihrer Songs, der ein Statement gegen die Ehe mit ihrem Sonderstatus ist. Oder Juha. Das sind schwule Exil-Palästinenser, die auf Hawaii leben und politischen Hip-Hop machen. Für die möchte ich unbedingt eine Europatournee organisieren.“
    Ein wichtiges Anliegen ist ihm auch, schwul-lesbische Veranstaltungen für Heteros zu öffnen.
    „Wir brauchen Schutzräume, aber es muss auch Wege zurück in die Gesellschaft geben. In meiner Vision gibt es in zehn bis fünfzehn Jahren keine schwul-lesbischen Veranstaltungen mehr. Deswegen sollen zu den Partys, die ich organisiere, auch Heteros kommen. Für Heteromänner ist das ein gutes Übungsfeld, um ihnen die Angst vor dem Angemachtwerden zu nehmen. Sie müssen lernen, locker damit umzugehen und ,Nein’ zu sagen, ohne dass ihr Weltbild aus den Fugen gerät.“
    Und schwule Männer? Mussten die nicht ohnehin schon in vielen und manchmal bitteren Lektionen lernen, von Heteros abgewiesen zu werden?
    „Auch für schwule Männer ist das ein Lernprozess. Sie müssen die Erfahrung machen, dass man ,Nein’ zu ihnen sagt, ohne dass es als persönliche Verletzung gemeint ist. Schwule und Heteromänner haben nämlich eine Gemeinsamkeit: Sie sind beide schwanzgesteuert und kennen keine Grenzen. Da unterscheiden sie sich überhaupt nicht. Wenn man jemanden kennen lernt, der einem gefällt, muss es nicht immer im Bett oder auf dem Klo enden. Auch ein anregendes Gespräch kann erotisch sein.“
    Bombenstimmung auf der Wiesn: Wenn sich das
Krachlederne mit dem Tom-of-Finland-Kult mischt
    Es begann mit einem Missverständnis. So erzählt man sich das jedenfalls. Ein Irrtum, aus dem eine feste Tradition geworden ist, ja ein Spektakel, das aus München inzwischen nicht mehr wegzudenken ist: das Homo-Treffen im Bräurosl -Zelt auf dem Oktoberfest.
    Es muss Anfang September 1990 gewesen sein, so die Legende, als das Telefon im Zeltbüro der Wirtsfamilie Heide klingelte und sich am anderen Ende der Leitung einer vom „Münchner Löwen-Club“ meldete. Er fragte höflichst an, ob man einen Teil des Zelts reservieren könne.
    Kein Problem, fand der Wirt und freute sich. Für ihn war das eine Ehre. Er dachte an den Bundesligaclub, an die Fans von 1860 München. Dass es bei diesen Löwen nicht um Fußball ging, sondern um einen schwulen Fetisch, der nach martialischem Männlichkeitskult aussieht – davon hatte er nicht den leisesten Schimmer. Und darum schnappte er tief nach Luft, als an jenem Sonntag über 200 Männer in einer Aufmachung hereinspazierten, die mit dem traditionell-bayrischen Krachledernen nur vereinzelt etwas am Hut hatte. Stattdessen dominierten Lederchaps, Schildmützen mit Emblemen und anderer Schnickschnack aus der schwulen Tom-of-Finland-Wundertüte. Einen vergleichbaren Aufmarsch hatte man an diesem Ort mit über hundertjähriger Tradition noch nicht gesehen. Die Angehörigen der Familie Heide, in deren Besitz sich das Bräurosl -Zeltseit gut 60 Jahren befand, staunten nicht schlecht.
    Was heißt hier Zelt? Eigentlich ist es eher eine riesige Halle, eine rustikale Holzkonstruktion mit einer Bühne, auf dem die Bräurosl -Kapelle ordentlich Stimmung macht. Und Tausenden von Sitzplätzen.
    Und diese werden seither Jahr für Jahr an einem Oktoberfest-Sonntag, dem so genannten Gay

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