Grenzen der Sehnsucht
war eigentlich mal was Revolutionäres.“
War. Eigentlich. Hört sich so an, als wäre da mittlerweile der Wurm drin.
Er zieht die Stirnfalten nach oben, konzentriert sich und holt zu einer Erklärung aus.
„Rammstein zum Beispiel ist eine Band, die politisch überhaupt nicht korrekt ist, viel zu teutonisch. Und zu machistisch. Das ist leider häufig so in der Rockmusik. Es dominieren immer noch stereotype Rollenbilder. Frauen kommen selten vor, und wenn, dann als Tussis. Aber es gibt immer mehr Ausnahmen, wie zum Beispiel Pansy Division, eine schwule Punkband aus San Francisco, die sich in ihren Texten unter anderem mit Safer Sex auseinander setzt. Oder Peaches, eine Frau mit harten Gitarren-Sounds, die lasziv auf der Bühne rockt, ohne sich anzubiedern. Sie gaukelt den Heteromännern nicht vor: ‚Ich will mit jedem von euch ins Bett.’“
Themen, die sich mit Rollenbildern und Sexualität beschäftigen, sollen also der Rockmusik einen neuen Kick verpassen. Damit den Obermackern der Gesellschaft endlich wieder ordentlich eingeheizt wird.
Nur: Die neuen Bosse sind mit den alten nicht mehr unbedingt identisch, und außerdem tummeln sich ein paar von ihnen auch im links-alternativen Spektrum. Und natürlich auch unter Homos: „Es gibt viele Schwule, die frauenfeindlich sind“, sagt Lechner. „Und tuckenfeindlich.“
Für Lechner sind das alles keine abgehobenen Überlegungen aus der zurückgelehnten Perspektive, die er sich mal bei einem Seminar über Geschlechterforschung zueigen machte. Nein, er selbst hat damit eine Menge Erfahrungen gesammelt.
„Ich komme aus der linksradikalen Szene und gehöre zu denen, die im Juli 1981 zehn Tage lang ein Wohnhaus besetzt haben, um Franz-Josef Strauß Lügen zu strafen. Der hatte damals behauptet, in München bleibe kein Haus länger als 24 Stunden besetzt.“
Er grinst, und in seinen Augen blitzt Stolz auf.
„Damals wusste ich noch gar nicht, dass ich schwul bin. Mein Coming-out hatte ich erst sechs Jahre später, und dann lernte ich bei einem bundesweiten Treffen in Berlin noch andere Schwule aus der Autonomen- und Anarchistenszene kennen. Auf Demos hab ich mich mit denen wohler gefühlt als mit den Heteromännern, die so eine Streetfighter-Mentalität drauf hatten. Das gemeinsame Marschieren im schwulen Block gab uns Selbstsicherheit.“
Heute zählt Lechner auf gewisse Weise selbst ein bisschen zum Münchner Establishment. Seit elf Jahren organisiert er erfolgreich Musikveranstaltungen, unter anderem eben auch für Schwule und Lesben. Dennoch ist er davon überzeugt, Anschluss an seine Vergangenheit gefunden zu haben: „Ich bin ein Provokateur. Mir geht es darum, etwas zu verändern. Dinge zu machen, die unmöglich erscheinen. Die letzte Party zum Christopher Street Day war so eine Sache. Sie fand im Münchner Rathaus statt, als politisches Symbol. Als die Idee aufkam, dachten viele: ,Das funktioniert nicht, das kriegen wir nicht durch den Beamtenapparat.’ Dann nahm alles seinen Lauf. Angestachelt von CSU-Stadträten, denen die Aktion nicht passte, machte die Abendzeitung ein paar Tage zuvor eine Schlagzeile daraus: Skandal – Schwule im Rathaus. Da wusste ich, das wird funktionieren. Zehn Jahre früher wäre das undenkbar gewesen.“
München ist für ihn der richtige Ort, um als Linker überhaupt was in Angriff nehmen zu können. „Mit einer bestimmten Konsequenz ist alles machbar“, sagt Lechner. Innerhalb einer konservativen Umgebung etwas zu ändern ist für ihn eine besondere Herausforderung.
„Wer nach Berlin oder Hamburg geht, verliert sich oft in liberaler Bedeutungslosigkeit.“ Auch innerhalb der schwulen Szene möchte er etwas ändern, ihr seinen Stempel aufdrücken – wenngleich er auch nicht alles völlig umkrempeln will, wie er ausdrücklich betont. Lechner ist der Ansicht, dass es einen gewaltigen Modernisierungsbedarf gibt, zumindest, was bestimmte Verhaltensmuster der Community betrifft.
„Ganz klar, die schwul-lesbische Bewegung ging mit Stonewall von den Tunten aus, die damals mit den Handtaschen auf die Bullen eingeschlagen haben. Fummel zu tragen galt eine Zeit lang als etwas Hochpolitisches, weil es ein Bruch mit Rollenbildern war. Heute ist das Provokative daran weg. Trotzdem hat sich in den Ghettos so ein bestimmtes Szeneverhalten festgefahren. Sachen, die mich schon in den achtziger Jahren vor den Kopf gestoßen haben. Damals hab ich gedacht: Okay, ich bin zwar schwul, aber doch nicht so tütütü. Es hat mich gestört,
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