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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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wollte. Es ginge um ein grundsätzliches Problem, hieß es. Um meine Arbeit. Um Effektivität und Ergebnisse meiner Arbeitsweise. Aber da gab es keine Ergebnisse. Ich konnte nichts vorweisen.“
    Siegfried zuckt mit den Schultern.
    Noch bevor man ihn mit den ersten Vorwürfen konfrontieren konnte, erlitt er einen nervlichen Zusammenbruch. Er ließ sich krank schreiben. Eine Woche, einen Monat. Immer länger.
    Bald funktionierte es auch mit dem Sex nicht mehr. „Ich bekam keinen mehr hoch. Meine körperliche Geilheit war auf einmal weg, obwohl ich mich weiterhin abhängig fühlte. Erst zu diesem Zeitpunkt dämmerte mir, dass sich etwas ändern muss. Persönlich und beruflich. Doch so einfach ließ sich das alles nicht umkrempeln.“
    Der Psychoanalytiker, den er nun regelmäßig aufsuchte, brachte ihn auf einen Gedanken, der ihm nicht mehr aus dem Kopf ging.
    „Ich weiß nicht mehr genau, vielleicht bin ich auch selbst drauf gekommen. Jedenfalls bin ich irgendwie auf der Suche nach meiner verlorenen Jugend auf den Suchttrip geraten. Sex ist für mich ein Ersatz für Anerkennung“, sagt Siegfried und schaut dabei etwas fragend drein. Gerade so, als wäre er selbst nicht so recht überzeugt von dieser Erkenntnis.
    Noch hat er keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll.
    Im Umfeld seines jungen, schwulen Bekanntenkreises hat man dafür nur wenig Verständnis. Sexsucht? So, so. Aber das ist doch nichts Schlimmes. Das haben wir doch alle, heißt es da. Wenn Siegfried sich bei der Arbeit nicht mehr richtig konzentrieren könne, solle er sich eben ein bisschen zusammenreißen.
    „Schwierig ist das, wenn ich jemand neues kennen lerne. Mein Schwanz funktioniert nicht mehr! Aber wie erklär ich jemandem, der mir gefällt, dass ich erst mal gar nicht mit ihm ins Bett will? Das ist nicht üblich in der Szene. Der denkt doch sofort, dass ich ihn nicht attraktiv finde oder eine körperliche Funktionsstörung habe. Oder dass ich es nicht mehr bringe!“ Siegfrieds Stimme hört sich nun überhaupt nicht mehr so leidenschaftslos an wie noch vor wenigen Minuten. Bevor wir uns verabschieden, beklagt er sich, dass er sich allein gelassen fühle mit dem Problem, und das mache ihn wütend.
    Dabei ist Siegfried kein Einzelfall. In der Berliner Schwulenberatung ist das Problem Sexsucht nicht unbekannt. Einer, der damit Erfahrungen gesammelt hat, ist der Sucht-Sozi-al-Therapeut Bernd Dohr. Vor ein paar Jahren hat er eine Selbsthilfegruppe für all jene Schwulen ins Leben gerufen, die unter ihrem sexsüchtigen Verhalten leiden und es ändern wollen.
    Der in den frühen achtziger Jahren gegründete Verein in der Charlottenburger Mommsenstraße hat seinen Sitz an einer noblen Adresse. Ein gusseiserner Fahrstuhl aus dem vorletzten Jahrhundert fährt in den zweiten Stock. Die Räume der Schwulenberatung machen einen sehr gediegenen Eindruck.
    Sexsucht-Experte Dohr empfängt mich in einem Zimmer, an dessen Wand ein Poster mit einem Motiv des Impressionisten Frederic Bazille hängt: Sommerszene von 1869. Darauf sind badende Männer in Unterhosen abgebildet, die sich gemeinsam an einem See vergnügen. Es strahlt zweifellos etwas Homoerotisches aus, aber im Vergleich zur jener drallen, offensiven Ästhetik, die einem in der Schwulenszene auf Plakaten und in Magazinen um die Ohren gehauen wird, wirkt es geradezu altbacken und prüde.
    „Sexistische Bilder lehnen wir hier in der Schwulenberatung ab“, klärt mich Dohr auf. „Ich selbst habe eher eine Vorstellung von Sexualität, die frei und lustvoll sein sollte und wozu sich feste Beziehungen gut eignen. Aber mit meiner Ansicht erhebe ich nicht den Anspruch, eine allgemeingültige Wahrheit zu definieren“, sagt er mit ruhiger Stimme.
    Dohr verschränkt die Arme und schlägt ein Bein über das andere. Er wird mit seinen Äußerungen vorsichtig bleiben und stets ein paar Sekunden überlegen, bevor er antwortet, um nicht in eine falsche Ecke gedrängt und am Ende als rückwärtsgewandt oder moralistisch beschimpft zu werden.
    Welche Merkmale müssen denn nun eigentlich erfüllt sein, um bei jemandem eine Sexsucht zu diagnostizieren?
    „Es gibt Menschen, deren sexuelles Verlangen die oberste Funktion in ihrem Leben übernimmt. Sie verbringen außergewöhnlich viel Zeit an einschlägigen Treffpunkten, zum Beispiel im Tiergarten, in einer Sauna oder in einem Sexkino. Andere machen sich auf die Suche im Internet. Dabei nimmt die Befriedigung beim Sex immer stärker ab. Man braucht einen immer

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