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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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berüchtigten Hafenstraße, die damals noch nicht so aufgeschickt war wie heute.
    „Das war hart. Zu meiner Schulzeit wohnten dort außer den Türken nur Deutsche, die sozial schwach waren. Von einigen Nachbarskindern war der Vater Zuhälter und die Mutter eine Nutte. Eine explosive Stimmung. Mit meinen elf Jahren sprach ich kein Wort deutsch, als ich aus der Türkei kam. Davor war ich ein guter Schüler, dann gingen die Leistungen auf einmal den Bach runter. Die anderen türkischen Kinder waren irgendwie anders als ich.“
    Weil er merkte, dass er schwul ist?
    „Manche Jungs aus dem Kiez haben mit fremden Männern Sex gehabt. Aber nur des Geldes wegen. Nicht, weil sie Lust dazu hatten. Ich hab geahnt, dass das irgendwie nicht richtig war. Aber ich wusste auch, dass ich schwul bin.“
    Später fing er in Hamburg eine Friseurlehre an. „Da hat mein Leben erst angefangen. Auch mein schwules Leben. Mein Ausbilder hat mich damals verführt.“
    Er lacht, als er sich daran erinnert.
    „Für mich war das nicht schwierig, Eingang in die Szene zu finden. Ich sah süß aus. Und mir war klar, dass ich mich von der türkischen Community trennen muss, wenn ich weiterkommen will. Inzwischen lebe ich meine Homosexualität offen aus.“
    Später hat sich Ziya ganz gezielt in Berlin beworben – beim Starfriseur Udo Walz.
    „Ich hatte damals vor allem Karriere im Kopf. Drei Jahre hab ich für Udo gearbeitet und Erfahrungen gesammelt.“
    Doch Berlin hat ihm anfangs überhaupt nicht gefallen: „Ich war nicht offen für die Stadt“, sagt Ziya.
    Wie muss man das genau verstehen?
    Er überlegt und verzieht schließlich leicht das Gesicht, als er sich daran erinnert.
    „Ich kam von der Alster, mir war die Szene hier in Berlin zu schmuddelig. In Kreuzberg waren nach meinem Geschmack zu viele Punks. Modisch war Berlin nicht auf der Höhe der Zeit. Ein Jahr danach fiel die Mauer, erst dann wurde die Stadt für mich allmählich interessant. Dass der Osten dazu kam, war eine echte Bereicherung.“
    Doch bevor ihm das bewusst wurde, entschied er sich, eine Zeit lang in London zu wohnen und zu arbeiten. Das war fünf Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. Für ihn ein Schlüsselerlebnis: „Kein Mensch hat mich dort gefragt, wo ich herkomme. Das war eine wichtige Erfahrung für mich. Als ich zurückkam, konnte ich erst anfangen, Deutschland zu schätzen. Berlin war für mich auf einmal noch spannender als London. Das Clubleben und die Cafés in Mitte – das kam mir viel großstädtischer vor als vorher. Die Stadt war voll von positiven Schwingungen. Ich hab den Abstand gebraucht, um mich persönlich zu entwickeln. Vorher war ich hier immer nur Ausländer. Da war immer das Gefühl, als Gastarbeiterkind unerwünscht zu sein. Seit meinem Londonaufenthalt hat sich das verändert. Jetzt lebe ich in Deutschland aus Überzeugung – und nicht, weil ich muss.“
    Wenn man Ziya zuhört, fällt einem auf, dass der Wellness-Aspekt eine wichtige Rolle in seinem Leben spielt. Wie man Tee am schmackhaftesten und gesündesten zubereitet, hat er bei einem Teeseminar auf Sylt gelernt. Seinen drahtigen Körper hält er durch regelmäßigen Sport auf Trab. Er macht täglich Yoga, kauft im Bioladen ein und ernährt sich seit kurzem nur von Lebensmitteln, die weder Lactose noch Glutin enthalten. Also keine Milch und kein Käse. Eine Kur, die ihm ein Heilpraktiker empfohlen hat, damit seine Verdauung besser funktioniert. Als er mir erklärt, was es damit auf sich hat, hört er sich fast so an wie Dr. Ulrich Strunz, jener Forever Young- Bestsellerautor, der inzwischen in jeder Talkshow zum Thema Fitness und Gesundheit seinen Senf dazu gibt.
    Unter dem Wellness-Aspekt kann Ziya auch dem Islam etwas Positives abgewinnen.
    „Ich bin zwar selbst nicht gläubig, aber wenn der Glaube den Menschen hilft, zu ihrer Mitte zu finden, dann ist das eine gute Sache. Ohne Religion wäre die Menschheit jedenfalls viel böser. Man darf sie aber nicht dazu zwingen. Meine Mutter und meine Schwester sind sehr liberal; sie haben sich vor kurzem aus eigener Entscheidung heraus zum Islam bekannt. Sie machen jeden Morgen acht- bis zehnmal ihre Gebetsübungen. Das tut ihnen gut, es ist im Grunde wie Yoga.“
    Ziya springt vom Stuhl auf, um es mir zu demonstrieren.
    Erst die Gebetspose des Islam. Dazu stellt er sich aufrecht hin, legt die Handflächen vor der Brust aneinander, geht in die Hocke, dann auf die Knie, beugt schließlich den Oberkörper vor, streckt die Hände nach

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