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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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sich auch als Schwuler nicht unbedingt schlecht.
    Dat jiddet nur en Kölle – das ist kölsch und bedeutet: Das gibt es nur in Köln. Und wirklich ist in keiner anderen Stadt die Atmosphäre so bierselig und in jedem Sinne spannungsfrei. Damit bei so viel Gleichheitsgefühl keine Lustlosigkeit aufkommt, wird das Realitätsvakuum mit einer wie auch immer gearteten Lustigkeit ausgefüllt. Ulknudeln wie Dirk Bach, Hella von Sinnen und Ralf Morgenstern scheinen die Stadt in tausendfach geklönter Ausfertigung zu bevölkern. Das Karnevaleske hat hier auch in der Szene das ganze Jahr über Hochkonjunktur, was freilich nicht unbedingt jedermanns Sache ist. Aber die Wahrheit lautet: Es gibt kein Entrinnen. Und wer damit kein Auskommen findet, muss der Stadt den Rücken kehren, denn kalauerfreie Nischen sind hier rar.
    Köln-Ehrenfeld im Dezember. Ein Stadtteil jenseits der City, der früher einmal als Industriewüste galt. Ein öder Ort, um den man besser einen weiten Bogen machte. Doch in den achtziger Jahren wurde die Wende eingeleitet, da hauchte eine Handvoll Künstler dem Quartier ein bisschen kulturelles Leben ein. Heute ist die Gegend um die Venloer Straße auch unter jenen Wohnungssuchenden heiß begehrt, die sonst die Innenstadt bevorzugen. In den Seitenstraßen stehen manchmal sieben, acht oder gar mehr Altbauten nebeneinander, und das ist im Kölner Stadtbild, das mehr als anderswo unter den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs gelitten hat, schon etwas Besonderes. Türkische Läden und französische Cafés sorgen an der Hauptgeschäftsstraße, wie in einem Reiseführer geschrieben steht, für „multikulturelles Flair“. Dazu tragen auch die schwulen Bewohner bei, deren Präsenz im Viertel unübersehbar ist. Zum Beispiel heute Abend bei einem Gastauftritt, auf einer Benefizveranstaltung für das Ehrenfelder Bürgerzentrum.
    Der Saal ist etwas mehr als zur Hälfte gefüllt. Bevor das Programm beginnt, servieren die Kellner die letzte Runde Kölsch.
    Ein Raunen liegt in der Luft. „Gleich wird eine schwule Tanzgarde auftreten“, erzählt jemand seinem Tischnachbarn.
    Dann ist es soweit: Das Licht geht aus, der Mann am Tonregler lässt es krachen, Marschmusik setzt ein. Männer in pink-farbenen Lackuniformen mit klassisch weißen Perücken und Dreispitzhüten stolzieren im Gänsemarsch auf die Bühne.
    Applaus.
    Der Kommandant der Truppe ergreift das Wort. „Herzlich willkommen, liebe Leute“, ruft er im selben schwungvollen Tonfall ins Mikro, in dem man auch „Helau“ oder „Alaaf’ ruft. „Wir sind die Rosa Funken, die Botschafter des schwulen Karnevals!“
    Noch mal Applaus.
    An meinem Tisch seufzt eine Frau um die dreißig: „Hach, ich hab einen schwulen Freund, dem würde das jetzt sicher gefallen!“
    Es folgt eine Tarantella – ein italienischer Volkstanz – mit Hoppe-Reiter-Einlage auf Plüsch-Steckenpferdchen. Deren Köpfe sehen allerdings weniger nach Pferd, sondern eher nach Schaf aus.
    „Die tänzerischen Fähigkeiten der Rosa Funken sind legendär“, schreibt der Verein auf seiner Website über sich selbst. Und: „Sicheren Schrittes schweben sie mit einer für unmöglich gehaltenen Eleganz über die Bühnen der Stadt.“
    Vorausgesetzt, dass dort kein Kabelgewirr herumliegt. Dummerweise ist genau das an diesem Abend der Fall, und so gerät manch anmutiger Tanzbeinschwung zum Stolperschritt.
    Macht nichts: Tusch und Applaus.
    Die Stimmung im Saal ist nicht schlecht, aber das Publikum könnte etwas mehr mitgehen. Na ja, das Abendprogramm hat eben erst begonnen, die Leute haben noch nicht genügend Kölsch getrunken, und die karnevalistische Hochsaison beginnt ja eigentlich auch erst nach Weihnachten.
    Spätestens Ende Januar, wenn es auf die Weiberfastnacht zugeht, werden die Rosa Funken wieder überall von sich Hören machen und dazu beitragen, dass die Rosa Sitzungen im Gloria bis auf den letzen Platz gefüllt sind. Die Truppe gilt in Köln inzwischen als Kult. Auch unter Heteros. Einmal hat sie auf der traditionellen Mädchensitzung im Sartory, die alljährlich live im Fernsehen übertra-gen wird, das weibliche Publikum so in Ekstase versetzt, dass dagegen selbst die California Dream Boys mit ihrer Stripshow keine Chance gehabt hätten. Und sogar bei der katholischen Pfarrsitzung in der Ehrenfelder St. Anna-Kirche waren die Homo-Karnevalisten schon zu Gast – die Kölner Medien feierten das als kleine Sensation.
    Dabei sind die Rosa Funken noch eine ganz neue Truppe, zumindest im

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