Grenzen der Sehnsucht
„Dabei haben wir doch den Acker für die bestellt.“ Im Unterschied zu heute hätte sich kein Mensch erlauben können, offen mit seinem Schwulsein zu leben. Offizielle Treffpunkte durfte es nicht geben. Inoffiziell war natürlich schon etwas geboten. Wie etwa am Waidmarkt, wo sich in den Wiederaufbaujahren einer der beliebtesten Treffpunkte befand, eine WC-Anlage direkt am Polizeipräsidium.
„Das war Kölns schönste Klappe“, erinnert sich Bernd.
Klappen: So nannte man bis vor kurzem öffentliche Toiletten, in denen Schwule heimlich zum Sex an Ort und Stelle anbandelten. Heutzutage gibt nichts Vergleichbares mehr, weil die Bedürfnisanstalten entweder längst geschlossen sind oder von privaten Unternehmen betrieben und regelmäßig kontrolliert werden. Vielleicht gibt es auch deswegen keine Klappen mehr, weil die Szene auf sie inzwischen nicht mehr angewiesen ist. Damals hingegen existierten kaum Alternativen, wenn man als Schwuler überhaupt ein Sexleben haben wollte.
„Auf der Klappe am Waidmarkt musste man erst durch einen Gang, dadurch konnte man hören, wenn jemand kommt. Manchmal ließen sich Polizisten in Uniform blicken – und das nicht zum Kontrollieren. Wenn zu Hause bei ihren Frauen nichts lief, ließen die sich einen blasen“, erzählt Bernd mit breitem Grinsen.
Allerdings wurde so manchem Klappengänger auch übel mitgespielt – wie etwa einem hochrangigen Politiker, der dort angeblich in die Falle gelaufen ist. Homosexualität, die öffentlich bekannt wurde, bedeutete das Ende jeder gesellschaftlichen Existenz.
Als Bernd nach Köln kam, lag die Stadt noch weitgehend in Trümmern. Fast achtzig Prozent der historischen Bausubstanz war nach dem Krieg unwiederbringlich verloren. Trotzdem übte die Stadt einen Reiz auf ihn aus: „Aber nicht wegen der schwulen Szene, die zu dieser Zeit noch sehr versteckt war und von der ich anfangs nichts wusste. Damals faszinierte mich vor allem die zweitausendjährige Stadtgeschichte, angefangen bei den Römern. Ich dachte: Was für ein Potenzial an Kunst. Allein die zwölf romanischen Kirchen! Wo findet man das sonst? Die Kölner könnten so stolz sein, dass sie Kölner sind – und dann motzen sie über Düsseldorf!“
Er gerät ins Schwärmen, wenn er vom historischen Aufstieg Kölns erzählt. Darin scheint er sich bis ins Detail auszukennen. Geschichten von den Germanen jenseits der Rheingrenze, die angesichts der römischen Architektur vor Ehrfurcht erstarrten. Und von der Stadtgründerin Agrippina, die sich erst als Dirne verdingte, bevor sie später durch Intrigen zur Kaiserin aufstieg und schließlich ihren Sohn Nero über Rom herrschen ließ. Und natürlich vom Dom, den er nach wie vor schätzt wie kein anderes Bauwerk.
Es gibt kaum einen Winkel in der Stadt, den er nicht kennt. Aber, schon klar, das hat auch mit seiner Tätigkeit bei den Kölner Verkehrsbetrieben zu tun, wo er als Schaffner angefangen und sich im Lauf der Jahrzehnte hochgearbeitet hat. „Meine Leistungen waren immer überdurchschnittlich. Ich musste besser sein, doppelt so viel wissen und organisieren. Schon allein deshalb, weil ich keiner Partei angehörte. In der Regel wurden auf freien Posten zuerst verdiente Parteileute untergebracht.“
Einmal hatte er auch einen schwulen Chef, dem er auf der Klappe begegnete. „Das hat mir jedoch keine Vorteile gebracht, ganz im Gegenteil. Der war so durchtränkt von Selbsthass, dass er mir von da an das Leben besonders schwer machte. Bis er dann unheilbar erkrankt ist und mich zu sich ans Sterbebett kommen ließ. Als ich ihn besuchte, hörte ich ihn zu seiner Frau sagen: ,Der hier ist der Letzte, den ich noch um Verzeihung bitten muss.‘“
Heute ist es ihm ein Anliegen, dass er als Schwuler in allen Lebensbereichen integriert ist, auch im sozialen Umfeld seines Lebensgefährten. Für Bernd hat es darum eine besondere Bedeutung, von der Familie seines Freundes akzeptiert zu werden.
„Einmal war ich bei seiner Verwandtschaft zu einer Kommunion eingeladen. Da hab ich mit einer Tante über den Propheten Elias geplaudert. Die staunte nicht schlecht, dass ich darüber Bescheid wusste: ,Dass man sich mit einem Schwulen über so ein Thema unterhalten kann!’“
Mit ihm kann man das sehr gut. Keinen Zweifel lässt er daran, dass es ihm stets ein Anliegen war, den christlichen Glauben mit allen Facetten seines Lebens in Einklang zu bringen.
„Ich bin schwul, ich bin stolz, ich bin katholisch. In Köln lässt sich das gut vereinbaren.
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