Grenzen der Sehnsucht
anderen Rechenschaft ablegen. Trotzdem interessiert sich jeder für das, was der andere macht. Es ist eine sehr gleichberechtigte Beziehung; es gibt keine Abhängigkeit. Ich kann meinen Freund bei seiner Karriere beraten, und auch ich habe von seinen Ratschlägen häufig profitiert. Manche Dinge interessieren uns beide, manchmal aus unterschiedlichen Gründen. Zum Beispiel die Oper. Ich gehe da gerne hin, weil ich das Gesamtkunstwerk mag, mein Freund interessiert sich für die Kostüme.“
Auch die Begeisterung für Fotografie ist eines der Dinge, die beide verbinden. Daher die Idee zu der Aktion mit den Porträtfotos, für die sich Bernd auf der Kunstmesse Art Cologne einen Fotografen empfehlen ließ. Und für die er am Ende sogar ein kaltes Bad im Rhein in Kauf nahm.
Auf die Überraschung für seinen Lebensgefährten freut sich Bernd wie ein kleiner Junge auf Weihnachten. „Der wird ein Gesicht machen, wenn ich ihm die Fotos überreiche! Das ist doch eine tolle Idee, nicht wahr?“
Eigentlich wollte er auch eine Aufnahme haben, die ihn mit der Familie seines Freundes zeigt. Dort ist er nämlich voll integriert. Ein Porträt mit Neffen und Nichten auf einer Obstplantage im Umland. „Die können aber nicht dicht halten, deswegen bin ich davon abgerückt. Es soll doch unbedingt eine Überraschung werden.“
Ganze elf Porträts sind es am Ende geworden. Ein jedes wurde mit entsprechendem Aufwand in Szene gesetzt. Daraus will Bernd ein Album mit einer Widmung zusammenstellen. Und weiße Handschuhe beilegen, zum Umblättern, damit keine hässlichen Fingerabdrücke entstehen.
Nicht gerade ein banales Weihnachtsgeschenk.
„Eine solche Idee kann man nur realisieren, wenn man zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute kennt“, sagt Bernd. „Leute, auf die man sich verlassen kann. Die kann man nicht überall finden.“
Die richtigen Leute kennen, das ist in Köln das erste Gebot. Dafür hat sich die Stadt weit über ihre Grenzen hinaus einen Namen gemacht hat. Klüngel lautet der Begriff, der genauso prägend für das Image von Köln ist wie das Kölsch-Bier oder der Karneval. Und der funktioniert nach dem Grundsatz gegenseitiger Gefälligkeiten: Eine Hand wäscht die andere. Konrad Adenauer, der vor seiner Amtszeit als erster Bundeskanzler hinreichend einschlägige Erfahrungen als Oberbürgermeister der Stadt gesammelt hatte, formulierte es einmal so: „Man kennt sich und man hilft sich“. „Filz“ und „Vetternwirtschaft“ sind die hässlichen Bezeichnungen für das Phänomen, über das ein ehemaliger Generalvikar des Kölner Erzbistums ein ganzes Buch geschrieben hat. Ihm zufolge ist das Klüngeln jedoch nicht notwendigerweise etwas Negatives, denn es entspringe der alten kirchlichen Tradition von Fürbitten an Heilige, damit diese ein gutes Wort beim Allmächtigen einlegten.
Bernd hat eine differenzierte Meinung über den Klüngel. „Man muss sich gut überlegen, wem man dabei schadet oder nutzt. Dafür braucht es einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.“ Für ihn hat das auch was mit Nachbarschaft und christlichen Geboten zu tun – mit der Bereitschaft, seinen Mitmenschen nicht feindselig, sondern freundlich gegenüberzutreten. Und mit dem Vertrauen darauf, zu einem späteren Zeitpunkt davon zu profitieren. „Ich glaube fest daran, dass alles Gute früher oder später zurückkommt“, sagt Bernd und weitet dabei beschwörend die Augen.
Nach dem Klüngelprinzip helfen sich auch die Kölner Schwulen gegenseitig, wo sie können. Das zahlt sich beispielsweise dann aus, wenn man in der Oper oder in der Philharmonie einen guten Platz ergattern will. Bernd profitiert ohnehin davon, während seines Lebens eine Menge wichtiger Leute in der Stadt kennen gelernt zu haben: „Bei Premieren sitze ich noch eine Reihe vor den Ehrengästen.“
Für seine Karriere hat ihm sein Schwulsein allerdings kaum genützt. Im Gegenteil. Von schwulem Klüngel keine Spur, jedenfalls damals in den fünfziger Jahren, als er bei den Kölner Verkehrsbetrieben anfing, nachdem es ihn in die Stadt am Rhein verschlagen hatte.
„Das Fahrpersonal nahm mich auf. Natürlich konnte ich niemandem sagen, dass ich schwul bin, das wäre gefährlich gewesen. Als Schwuler musste man immer mehr Leistung erbringen als andere“, sagt er. Heute erinnert sich kaum jemand daran, was für ein Klima früher im Umgang mit Homosexualität geherrscht hatte.
„Die jungen Schwulen wollen nicht wissen, wie das war nach dem Krieg“, winkt Bernd ab.
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