Grenzen der Sehnsucht
bekam erstmals hochoffiziellen Besuch. Das Zusammentreffen sorgte für eine überschäumende Stimmung im Saal; in der Szene sollte noch lange von einem „kulturellen Erdrutsch“ die Rede sein.
„Das war revolutionär, das hat ein mediales Erdbeben ausgelöst“, sagt Spolert. „Der Stadtanzeiger kommentierte das sogar in seinem Leitartikel.“
Als „historisch“ wurde der Besuch gelobt, und der Express nannte den Vorfall eine „Rosa Revolution“.
Die Mitglieder der Kölner CDU rieben sich indes verwundert die Augen. Mit einer solchen Resonanz hatte man gewiss nicht gerechnet – und schon gleich gar nicht mit einer so positiven. Das war der Dammbruch für eine Partei, die sich zuvor nie um schwul-lesbische Belange geschert hätte. Und so mauserte sich der Ortsverband zur CDU-Avantgarde in Deutschland, freilich nur aus strategi-schen Gründen. Auch nach dem überraschenden Tod des Vorreiters Harry Blum blieb das so, als Neuwahlen durchgeführt werden mussten.
Der Wahlkampf brachte gleich noch eine Sensation mit sich, die bundesweit für Aufsehen sorgte: Der CDU-Nach-folger Fritz Schramma sprach sich als erster CDU-Kandidat ausdrücklich für die Homo-Ehe aus und annoncierte in einer schwul-lesbi-schen Zeitung mit dem Slogan „Köln ist weder schwarz noch rot, sondern bunt“. So etwas hatte es noch nie gegeben.
Die Kölner Schwulen indes wurden von dem Erfolg ihrer Aktionen regelrecht überrollt. Genau darin sieht Spolert den Grund für einen Stillstand in der Kölner Homo-Politik.
„Lange Zeit hat die Schwulenbewegung in Köln gut funktioniert und in die ganze Bundesrepublik ausgestrahlt. Die Stadt wurde zum Anziehungspunkt, viele sind hierher gezogen, die Zahl der Kneipen verdoppelte und verdreifachte sich. Das Wachstum hat allerdings zu einer Entfremdung zwischen politisch Bewegten und Party-Fans geführt. Der CSD ist zu einem nichtssagenden Spektakel mutiert. Es gibt keine politischen Forderungen mehr. Schwule und Lesben sind satt. Sie denken, dass sie akzeptiert werden, dabei leben sie in einem Ghetto, ohne es als Ghetto wahrzunehmen. Schon in den Vororten darf man sich als Schwuler oder als Lesbe nicht zeigen. Auch innerhalb der Kölner Stadtgrenzen gibt es Gewalt gegen Schwule. Wir müssen im Bewusstsein leben, dass wir immer eine Minderheit bleiben und die Rechte, die wir erstritten haben, auch weiterhin verteidigen müssen.“
Deswegen brauche die Homo-Bewegung dringend eine Neuorientierung. Einen Politisierungsschub.
„Auch der schwule Karneval muss mehr sein als Abfei-ern, Saufen, sich Anpassen. Für mich bedeutet Karneval Anarchie und politische Provokation. Eben all das, was es ursprünglich war – nämlich eine Parodie auf die Stadtgarde. Auf richtige Soldaten.“
Der offizielle Karneval mit seinen Tanzkorps von heute lässt die ursprüngliche Tradition des Parodierens nämlich kaum noch erahnen.
Doch nun bin ich zugegebenermaßen ziemlich verwirrt.
Welche Rolle spielen denn nun die Rosa Funken? Wollen sie nun Teil des offiziellen Karnevals sein? Oder nicht doch eher eine Parodie auf die Parodie, die längst keine Parodie mehr ist?
Spolert schaut mich mit großen Augen an, als hätte ich etwas Wesentliches nicht begriffen. „Sowohl das eine als auch das andere“, antwortet er zögerlich.
Na ja. Konsequent hört sich das nicht an. Aber vielleicht muss es das auch gar nicht – warum sollte man denn ausgerechnet den Karneval ideologisieren? Das Leben ist doch ohnehin voller Gegensätze, die sich beim gemeinsamen Schunkeln noch am besten unter einen Hut bringen lassen.
Schließlich schiebt Spolert seiner Antwort noch schnell etwas hinterher: „Vor allem sind die Rosa Funken auch eine Selbstparodie auf die schwule Community, frei nach dem Motto: Wir können uns auch selbst auf den Arm nehmen.“
Typisch kölsch: Stolz, katholisch, prunkverliebt –
und eine Neigung zum Klüngeln
Niedrigwasser am Rhein, an einem lauen Herbsttag. Die Sonne meint es gut. Wie immer flanieren eine Menge Leute am Ufer entlang, nahe der Kölner Südbrücke. Dann macht es „Blubb“. Die Spaziergänger drehen verwundert die Köpfe. Plötzlich schnellt ein Mann aus dem Wasser geradewegs in die Höhe. Aber nicht splitternackt wie in der Reklame für Cool Water. Nein, nicht so banal – viel aparter. Er steckt in einem maßgeschneiderten, schwarzen Anzug und einem weißen Hemd mit einer Fliege. Alles trieft vor Nässe. In Händen hält er eine alte Schreibmaschine, die jahrelang auf dem Grund des Rheins
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