Grenzen der Sehnsucht
Wir Kölner sind tolerant – nur bei Kardinal Meissner haben wir Probleme.“
Erst neulich hat der Kardinal mal wieder für Schlagzeilen gesorgt. Auf einer Reise in Budapest soll er von seinem Redemanuskript abgewichen sein und behauptet haben, gleichgeschlechtliche Liebe sei ein Verstoß gegen den göttlichen Schöpfungsplan. In einer früheren Predigt hat er angeblich schon einmal gegen Schwule und Lesben gewettert, die er laut Presseberichten mit Drogensüchtigen und Terroristen verglich und als „Bedrohung der europäischen Werteordnung“ brandmarkte.
Bernd lässt sich jedoch von fundamentalistischen Eskapaden dieser Art nicht abschrecken. Mit katholischer Homophobie hat er bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt.
„Vor 15 Jahren hat mir ein Priester von St. Andreas die Absolution verweigert, nachdem ich ihm erzählt habe, dass ich schwul bin. Daraufhin hab ich mir gesagt: .Lieber Gott, du verzeihst mir, der hat keine Ahnung.’ Später lernte ich einen anderen Priester kennen, der mir versicherte: ,Der liebe Gott liebt auch dich. Wenn du einen festen Freund hast und nicht nebenher im großen Stil fremdgehst, ist das eine Bagatelle.’“
Der katholische Glaube vermittelt Bernd zufolge ein ganz anderes Lebensgefühl als etwa der Protestantismus: „Durch die Beichte wird dir fast alles verziehen. Gerade bei vielen Kölner Katholiken ist der Umgang mit der Beichte eine besondere Form der Lebensbewältigung. Und dann ist da natürlich noch die Andeutung der himmlischen Pracht, auch Prunk genannt, der für uns viel wichtiger ist. So ein Aufmarsch mit 20 Messdienern, das bringt einem den Glauben kilometerweit näher. Besonders die Kölner mögen den Prunk. Und auch die Schwulen.“
Und woher kommt nun diese mutmaßliche Neigung zum Ausschweifenden?
Bernd muss da nicht lange überlegen. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
„Das ist wie in der Oper, beim Schauspiel oder in Revuen. Das hat etwas mit Identität zu tun. Jeder Mensch braucht eine Vision, jeder will sich mit etwas Besonderem identifizieren. Weil jeder mal aus seiner Wirklichkeit herauskommen will. Schwule Männer lieben das, weil sie sich dabei besser hineinversetzen können als andere Menschen. Sie verfügen über die Fähigkeit, die Welt mit weiblichen Augen zu sehen. Wenn Michelangelo nicht schwul gewesen wäre, hätte er ein solches Kunstwerk wie die Fresken in der Sixtinischen Kapelle vermutlich niemals hingekriegt.“
Glamour gegen die Tristesse:
Wie Miss Tinkerbell den grauen Alltag bekämpft
Eine Straße im südlichen Teil der Kölner Altstadt. Ganz in der Nähe ragt die Pantaleonskirche in den Himmel, eine der zwölf romanischen Kirchen Kölns. Sie ist eines der wenigen historischen Gebäude der City, die ansonsten mit notdürftig hochgezogenen Nachkriegsbauten zugepflastert ist. Nein, als eine Schönheit unter den Städten Deutschlands kann man Köln wahrhaftig nicht bezeichnen. Immerhin ist der Straßengrundriss der Altstadt aus dem Mittelalter erhalten, die kuschelige Enge der Gassen von dem automobilen Straßenverbreiterungswahn der fünfziger und sechziger Jahre verschont geblieben. Auch die Höhe der Gebäude ist weitgehend so bescheiden wie vor Hunderten von Jahren geblieben. Nur die Architektur wurde ausgewechselt. Gerade hier in der Gegend reiht sich aus Adenauers Wirtschaftswunderzeiten ein Wohnblock an den nächsten, alle höchstens vier bis fünf Stockwerke hoch, eine Fassade so schmucklos wie die andere. Manche davon sind mit weißen oder grauen Fliesen gekachelt, die an eine öffentliche Toilette erinnern. Für Bäume und andere Begrünung sind die Gassen zu eng. An einem trüben und regnerischen Tag wie heute ist das gewiss kein reizvoller Anblick. Kaum zu glauben, dass hier die ausgelassensten Feste gefeiert werden sollen. Vielleicht ist es diese Tristesse, die auf Dauer ein gewisses Trotzgefühl auslöst und umso mehr zum Feiern animiert.
Je nüchterner und grauer das Äußere der Gebäude, desto hektischer und bunter scheint die elektronische Adventsbeleuchtung an den Fenstern dagegen anzufunkeln. Nirgends blitzt und flirrt es jedoch so auffällig wie an dem Balkon mit der riesigen Leuchtlokomotive. Sie ist das Herzstück einer prunkvollen Weihnachtsdekoration, die einem schon aus hundert Metern Entfernung entgegenblinkt.
„Schau mal“, sagt mein Begleiter, der mir meinen nächsten Gesprächspartner vorstellen wird, „das Fenster dort, das aussieht wie ein Stück Piccadilly Circus, da wohnt
Weitere Kostenlose Bücher