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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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Prozedur von drei Tagen. Mit Briefing, bei dem einem alles erklärt wird, und einem Foto-Shooting. Dann wird die ganze Bären-Crowd offiziell vorgestellt. Neunzehn Bewerber stammten aus den USA, einer aus England, einer aus Australien und ich. Ich hatte die schönste Schärpe von allen, in den Bärenfarben von weiß bis schwarz. Im Vorfeld fanden außerdem Benefizveranstaltungen mit Bingo und Verlosungen statt. Verkauft wurden die Lose von uns Kandidaten. Je höher die Anzahl der verkauften Lose, desto mehr Punkte.“
    Die eigentliche Wahl begann mit einer großen Glamour-Show, bei der die Bären in der ersten Runde über Kreuz aufmarschieren und anschließend einzeln gefragt wurden, was sie zum Allgemeinwohl der Szene beitragen.
    „Charity und der Community-Gedanke sind in San Francisco viel stärker ausgeprägt als in Köln. Das spielt bei der Wahl eine große Rolle. Die Jury prüft und berät genau, ob man des Titels überhaupt würdig ist.“
    Sein persönlicher Beitrag für die zweite Runde war ein Strip, für den er zuvor eine blaue Feuerwehrhose tricktechnisch aufrüstete, um am Schluss nur an zwei Stahlseilen ziehen zu müssen – und schon lag bis auf den Slip alles am Boden. Für diesen Spezialeffekt erntete er Jubel und Applaus. Und nach der dritten Runde, die mit einer Rede abschließt, auch den Sieg.
    Das war nicht nur für die Kölner Bärenszene eine Sensation. Selbst der deutsche Pressedienst gab eine Meldung über den Newsticker heraus.
    „Zum ersten Mal hat ein Mann aus Deutschland bei einem schwulen Schönheitswettbewerb in den USA gewonnen“, lautete die Schlagzeile, die schließlich auch im ARD-Videotext übertragen wurde.
    Damit wussten automatisch auch die Kollegen von ihm Bescheid – denn von Beruf ist Klaus Chefregisseur bei RTL.
    „Dort hat man mich in meiner Abwesenheit mit Sekt hochleben lassen und mir Glückwunschfaxe ins Hotel geschickt.“
    Eine allzu große Überraschung war der Sieg für die RTL- Crewfreilich nicht.
    „Beim Sender weiß man schon längst, dass ich schwul bin. Ich hab da noch nie ein Geheimnis draus gemacht. Schon nach meiner ersten Kür in Deutschland hat man mich mit ,Hallo, Mister Bär!’ begrüßt und den Artikel aus dem Kölner Stadtanzeiger ans Schwarze Brett geheftet.“
    Erstaunt ist Mister Bär darüber, dass man sich ausgerechnet in der Kölner Bären-Szene seit seinem Sieg zurück-hält, weil man ihm nun etwas Unnahbares zuschreibt.
    „Ich werde eher weniger angesprochen als vorher. Das enttäuscht mich, weil ich mich überhaupt nicht verändert habe.“
    Dabei ist die Bärenszene doch eigentlich eine eingeschworene Gemeinschaft, die auf familiären Zusammenhalt und kumpelhafte Gleichheit baut. Genau darauf zielen die gemeinsamen Rituale und Erkennungszeichen ab.
    „Man begibt sich in eine Gruppe, um in einer geschützten Welt zu leben“, sagt Klaus Regel. „Das hat auch mit Narzissmus zu tun. Man möchte sich im anderen spie-geln.“
    Es ist im Grunde derselbe Mechanismus, der auch bei anderen schwulen Gruppierungen eine Schlüsselrolle spielt, wie etwa in der Leder- und Uniformszene. Wer einer Minderheit zugerechnet wird, bemüht sich ohnehin schon darum, eine Bestätigung für sein Anderssein zu bekommen. Man hungert nach Bildern, die der eigenen Identität und dem eigenen Selbstverständnis entsprechen. Heterosexuelle Männer und Frauen hingegen finden sich in ihrer Rolle ohnehin andauernd bestätigt – unter Familienangehörigen und Verwandten, bei der Arbeit, in der Werbung, im Fernsehen. Fast überall.
    Apropos Fernsehen. „Ich glaub, ich muss jetzt los“, sagt Klaus Regel. „Vorhin habe ich gehört, dass Saddam Hussein gefasst worden ist. Das lässt mir keine Ruhe, auch wenn ich heute keinen Dienst hab. Ich möchte noch mal schnell in der Redaktion vorbeischauen.“
    Sagt’s, trinkt in einem Zug sein Kölschglas leer und entschwindet so schnell, wie er gekommen ist.
    Am Nachbartisch höre ich noch jemanden sagen: „Hey, das war doch eben der Mister Bear International!“
    Von Barbie bis Star Trek: Eine kleine Pop-Ikonographie
    Seine Wohnung ist ein Fundus der Jugend-, Pop- und Medienkultur des 20. Jahrhunderts. In den voll gestopften Regalen stehen Comics von Tim und Struppi, Videos von Mondbasis Alpha aus den siebziger Jahren und Schallplatten von Peter Alexander bis Dalida. Autogrammkarten von längst vergessenen Stummfümstars füllen Aktenordner, und kunterbunte Werner-Panton-Stühle in Miniaturausgabe heischen um Aufmerksamkeit.

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