Grenzen der Sehnsucht
Barbie und Ken posieren auf dem obersten Brett in Weltraumuniformen, denen das allseits bekannte Star-Trek-Emblem angeheftet ist. Vom Boden erhebt sich eine fast meterhohe King-Kong-Dekoration aus Pappe: die US-Videoedition zum 60. Jubiläum des Schwarzweiß-Klassikers. Und an der Wand hängt ein Filmposter mit wuchtigem Art deco-Rahmen, auf dem sich Marilyn Monroe, Betty Grable und Lauren Bacall in Wie angelt man sieh einen Millionär? um die Wette räkeln. Die Beschreibung ließe sich lange fortsetzen. So oder ähnlich sieht es in vielen schwulen Wohnungen aus. Besonders in Köln scheint man für diese Art von Sammelsurium einen besonderen Zugang zu haben.
Beim flüchtigen Durchschauen der Regale bleibt mein Blick an einem Objekt hängen, das eindeutig aus der Reihe fällt. Es ist ein ganz ernsthaftes Sachbuch und heißt Sexualität und Neurose im Film.
Hoppla. Etwas Wissenschaftliches. Es geht um Popkultur im Spiegel der Psychoanalyse. Umgeben von all den knalligen Andachtsgegenständen, die den Leinwand- und Comic-Helden seiner Teenagerzeit gewidmet sind, klingt der Titel bedrohlich nüchtern. Als wäre es ein Fremdkörper, den jemand aus der Twilight Zone hereingeschleust hat und der vielleicht sogar eine verschlüsselte Botschaft enthält; eine Message aus einer weit entfernten, streng durchrationalisierten Erwachsenenwelt, in der selbst ein so romantisches Verhältnis wie das zwischen Batman und Robin psychologisch zerpflückt werden muss. Zurück ins Regal damit!
Keine Frage, hier an diesem Ort, zwischen Devotionalien alter Science-Fiction-Serien und Bugs Bunny als New Yorker Freiheitsstatue, sieht es nicht aus wie in einer langweiligen Erwachsenenwohnung. Hier pflegt jemand die Idole und Mythen seiner Jugend, und zwar mit Liebe zum Detail. Damit hat es sich aber auch. An seinem Outfit lässt Frank Hoyer jedenfalls keine Insignien von dem erkennen, was man gemeinhin als Jugendwahn bezeichnet. Weder Baseballmütze mit cooler Applikation noch dreistreifige Adidasschuhe, nichts dergleichen. Zwanghaft jünger erscheinen als er ist – das will der 40-Jährige offensichtlich nicht. Auch auf partnerschaftlicher Ebene ist Jugendlichkeit für ihn kein Thema.
„Mit jungen Hüpfern kann ich überhaupt nichts anfangen“, grummelt Frank und zupft an seinem Bart, den er üppig vor sich hin sprießen lässt. Dieser ragt auch über der Oberlippe zentimeterweit aus seinem Gesicht, das ohnehin schon sehr markant ist. „Ich stehe auf Männer in meinem Alter, eher sogar ein paar Jahre drüber. Ich brauche keinen Partner, der zu mir aufschaut und erwartet, dass ich ihm die Welt erkläre.“
Ganz anders verhält sich das freilich in seinem Beruf, wo er Jugendlichen dicht auf den Fersen ist. Als Mitarbeiter einer Trendmesse ist Frank ständig auf Achse, um herauszufinden, was die Herzen der Teenager begehren. Um ihnen Produkte und Stars näher zu bringen. Angesichts seiner eigenen Leidenschaft für Pop-Ikonen kann man sich vorstellen, dass er seiner Aufgabe mit großer Intuition und Empathie nachgeht. Doch halt: Sind das nicht Eigenschaften, die man schwulen Männern ohnehin zuschreibt? Schließlich hat die Pop-Branche schon seit jeher Inspiration aus der schwulen Subkultur geschöpft. Man denke nur mal an die siebziger Jahre zurück, an das Image von Village People zum Beispiel, die mit ihrer homosexuellen Folklore ganze Teenagerhorden zum Kreischen brachten – ohne dass den meisten ihrer Fans deutlich geworden wäre, um was es da eigentlich geht.
„Es ist vor allem das Exotische, das Rebellische, die Abgrenzung vom Normalen, um das sich die Jugend- und Popkultur dreht“, umreißt Frank das Phänomen. Oder anders gesagt: Ikonen wie Batman oder Lara Croft spiegeln die für die Teenagerphase so typische Suche nach Selbstfindung innerhalb der Gesellschaft wider. Und während die meisten Heteros eines Tages ihre Phase der Orientierungslosigkeit beenden, indem sie heiraten, Kinder zeugen, ein Häuschen im Grünen bauen und alle Andenken aus der Jugend im Wandschrank oder auf dem Dachboden verschwinden lassen, existiert für schwule Männer kein vergleichbares Lebensmodell, das ihnen vorgegeben ist und an dem sie sich abarbeiten können – auch wenn die Palette gesellschaftlich akzeptierter Rollenbilder immerhin ein wenig variationsreicher ist als noch vor ein paar Generationen. Natürlich gibt es auch heterosexuelle Singles, die mehr oder weniger freiwillig aus der Reihe tanzen, aber das sind Ausnahmen. Hingegen bleibt
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