Grenzen der Sehnsucht
Homo-Konservativen
Frankfurt leuchtet. An einem frühen Samstagabend im März zittern die Wolkenkratzer auf der spiegelnden Wasseroberfläche des Mains. Der Blick auf die Frankfurter City ist wohl am schönsten in der Dämmerung und vom Museumsufer in Sachsenhausen aus: Eine mächtige, funkelnde Skyline türmt sich da vor einem auf, eine, die in Europa ihresgleichen sucht.
In den Straßen tobt allerdings nicht gerade das Leben. Längst haben sich die Tausenden von Pendlern, die unter der Woche in den Bürohäusern Berge von Akten bewälti-gen, in ihre Wohn- und Schlafstätten zurückgezogen, in den Taunus, den Westerwald oder bis weit in die Ausläufer der hessischen Provinz, nach Darmstadt, Fulda oder Wiesbaden.
So ist das mit Frankfurt: Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es einen Fluchtpunkt, zu dem so beflissen hin- und hergependelt wird wie hier, nicht nur zum Arbeiten, sondern ebenso für Kultur und Freizeit.
Auch die Frankfurter selbst pendeln gerne, vor allem die Schwulen. Zum Beispiel nach Mannheim. Das liegt mit gut 80 Kilometern Entfernung zwar nicht gerade vor den Toren, aber für viele ist Mannheim eine attraktive Stadt, mit einer der weit und breit bestbesuchten Homo-Discos im ganzen Rhein-Main-Gebiet: Das MS Connexion gilt als Leuchtturm der Szene, nicht nur wegen seiner schieren Größe und Weitläufigkeit, sondern auch, weil ihm als alte Fabrikhalle etwas Faszinierendes, etwas Morbides anhaftet, wie ein Abenteuerspielplatz für schwule Erwachsene. Oder vielleicht eher für Schwule, die nicht erwachsen werden wollen?
Eine Zeit lang übte die Location einen so unwiderstehlichen Reiz aus, dass man einen Shuttle-Bus von Frankfurt aus einrichten musste. Da versammelte sich immer wieder Samstagabends um halb elf ein aufgeregtes Völkchen an der Haltestelle in der Schäfergasse, ganz in der Nähe vom schwulen Café Lucky’s Manhattan, stürmte aufgeregt und lärmend den klimatisierten Vollkomfort-Bus, brauste in Richtung Mannheim und wurde früh morgens nach Sonnenaufgang in leicht derangiertem Zustand wieder in Frankfurt ausgespuckt.
Ein Fahrdienst für vergnügungssüchtige Schwule, wie man ihn sonst kaum irgendwo findet. Das muss man wohl Service nennen.
Nicht, dass in Frankfurt nicht auch der Bär steppen würde, ganz im Gegenteil. Cafés, Clubs und Kneipen für Schwule gibt es eine ganze Reihe, obwohl sie stets ein wenig bieder sind. Ihre Zahl ist, wie in allen anderen Metropolen auch, seit den frühen neunziger Jahren sogar stetig größer geworden. Auch wenn immer wieder hartnäckig behauptet wird, dass junge Schwule in der Großstadt nicht mehr so großen Wert auf ihre schwule Identität legen und lieber mit heterosexuellen Altersgenossen in gemischte Kneipen und Clubs ausgehen würden: Die Entwicklung der Subkultur spricht eine andere Sprache; sie wächst, differenziert sich aus und findet sehr wohl ihr Publikum.
Riesig war der Andrang des jugendlichen Partyvolks etwa, als ein paar pfiffige Veranstalter zur Eröffnungsfeier des Royal luden, einem ausgedienten Kino, das sie zur schwulen Location umfunktionierten. Allerdings war zu dem Zeitpunkt schon klar, dass wenige Monate danach wieder Schluss mit lustig sein würde, weil das Gebäude einem Neubau weichen muss.
Das ist das Typische an der Bankenmetropole Frankfurt. Ständig wird irgendwo etwas Altes abgerissen, dafür an anderer Stelle etwas Neues, Schönes, Strahlendes erbaut, und immer so, als wäre es für die Ewigkeit.
Darum wirkt die Innenstadt manchmal allzu steril: viel Glas und Granit, blitzblank aufpoliert für die hohen Ansprüche der internationalen Finanzwelt. Keine Ecken, Nischen und Gebäude, die nicht topsaniert erscheinen. Oder Flächen, die anfällig sind für Schmutz oder Graffiti, um Gottes willen, nein. All das muss in Frankfurt sofort in Ordnung gebracht werden. Bangevoll hat man die Straßenkämpfe und Hausbesetzungen der siebziger und achtziger Jahre in Erinnerung, als Joschka Fischer noch mit Pflastersteinen um sich schmiss.
Auch Homosexualität galt lange als etwas Obskures und Staatsfeindliches. Indes haben sich auch im konservativen Frankfurt die Verhältnisse entkrampft, obgleich sich bei vielen Konzernbossen immer noch die Nackenhaare sträuben, wenn man sie mit dem Thema konfrontiert.
Im Jahr 2004 kündigte die christdemokratische Bürgermeisterin Petra Roth erstmals ihren Besuch beim Christopher Street Day an – eine kleine Sensation, denn bislang hatte sie stets eine Ausrede parat. Zu verdanken ist
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