Grenzen der Sehnsucht
man in der Brennerei Weiß hin und wieder zu Gesicht. Erst am letzten Wochenende soll hier Hella von Sinnen gewesen sein, die sich angeblich so vollaufen ließ, dass man sie nur mit großer Mühe zu einem wartenden Taxi rausschleppen konnte. Dieses Gerücht erzählt man sich jedenfalls gerade am Nachbartisch unter großem Gejohle. Gerne hätte ich noch weiter gelauscht, doch deswegen bin ich gar nicht hier, und außerdem kommt schon der amtierende International Mister Bear hereingeschneit – ein respekteinflössender Titel, wie ich finde, auch wenn ich noch gar nicht so recht weiß, wodurch man ihn sich eigentlich verdient.
Er ist groß, stämmig, bärtig, trägt Ohrring und Lederweste. Jawohl, so stellt man sich wirklich einen bärigen Typen vor, selbst wenn man sich in dieser speziellen Fetischszene, dieser Splittergruppe innerhalb der schwulen Subkultur, die in Köln besonders stark vertreten ist, gar nicht auskennt. Doch wie definiert sich ein so genannter Bär nun eigentlich genau? Vom Hörensagen weiß ich bislang nur, dass Bären dem schwulen Ideal makelloser Schönheit und Jugendlichkeit etwas vollkommen anderes entgegensetzen wollen.
„Ich bin in dieser Frage brutal“, antwortet Weltmeister Petz, der eigentlich mit bürgerlichem Namen Klaus Regel heißt und so gar nichts Brutales an sich hat. Er grinst, ohne dabei seine Ernsthaftigkeit in Frage zu stellen.
„Ein Bär ist ein stark natürlicher Mann, der Behaarung im Gesicht und am Körper haben muss und der mindestens 25 Jahre alt ist. Das heißt auf keinen Fall, dass er fett und hässlich sein darf, und genauso wenig spindeldürr. Für mich sind Bären männlicher und gemütlicher als andere. Und sie sind knuffig.“
Knuffig. Hm. Das heißt doch nichts anderes als putzig und harmlos, oder?
Eine ungeschickt gestellte Frage, wie sich herausstellt. Der Tonfall der Antwort ist deutlich. Ein anschwellendes Brummen, das silbenweise in bedrohliches Grollen übergeht.
„Ich hasse es, wenn jemand zu mir sagt: ,Du bist ja ein süßes Bärchen!’ Bären sind gefährliche Tiere!“
Aha. Verstehe. Beim Bärsein geht es also darum, einen Widerspruch zu vereinen. Auf der einen Seite das Männliche und Animalische, das zwar erotisch und attraktiv erscheint, in seiner Urform jedoch zu martialisch und unnahbar bleibt, um es als Objekt des Begehrens handhaben zu können. Dafür muss man es andererseits zum Teddy und Kumpel machen. Doch wehe dem, der das Bärendasein zu verniedlichen wagt!
Eine schwierige Balance zwischen Gegensätzen. Auf dem Siegerporträt von Klaus Regel kommt das gut zum Ausdruck, wie er da so steht auf dem Podest, in stolzer und erhabener Pose, mit strengem Weihnachtsmannlächeln, der Oberkörper nackt – und im linken Arm ein riesiger Teddybär, dem eine rot-lila Schleife umgebunden ist.
Was bringt einen dazu, sich als Kandidat in so einem Wettbewerb aufstellen zu lassen?
„Vor dem US-Wettbewerb habe ich ja erst mal an der Wahl zum Mr. Bear Germany teilgenommen. Im Sommer 2003 verspürte ich eines Tages das Bedürfnis, meinem Leben einen Kick zu geben. Es war der Spaß an der Show, der mich reizte. Natürlich hab ich mir Chancen ausgerechnet, sonst hätte ich mich nicht beworben. Nach meinem Urlaub auf Gran Canaria war ich schon mal knackebraun. Das habe ich dann im Solarium konserviert, dazu ein bisschen abgenommen, ein paar Bartformen ausprobiert, mir ein Kostüm und eine Musik ausgesucht.“
Und so belegte er auf der mit 1500 Kerlen ausverkauften Bärennacht in der Stadthalle von Köln-Mühlheim den ersten Platz. Das war allerdings nur eine Zwischenetappe auf seinem Weg zu höheren Weihen – beim entscheidenden Wettkampf in San Francisco.
„Anfänglich war ich überrascht, wie ernst manche Teilnehmer das Ganze nehmen. Dann hab ich auch an mir bemerkt, dass es etwas Wichtiges wurde. Man identifiziert sich schnell mit so einer Rolle. Und wenn ich mich dazu entscheide, etwas anzufangen, dann mache ich das auch richtig. Schließlich will ich mir nicht nachsagen lassen, dass ich etwas nicht zu Ende bringe. Die Amis sollten sehen, was wir Deutschen auf dem Kasten haben!“
In Kalifornien angekommen, war Klaus Regel überrascht von dem Zirkus, den man um das Ereignis veranstaltete. „Die Amerikaner sind sehr professionell, das war wie in dem Film Miss Undercover mit Sandra Bullock. Es findet nicht einfach nur ein abendlicher Event wie bei uns statt, bei dem Stimmzettel abgegeben werden und dann hat sich’s. Nein, das ist eine
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