Grenzen der Sehnsucht
und außenpolitischen Fragen ziehe ich konservative Konzepte vor, und sozialdemokratisch denke ich überhaupt nicht.“
Auch in der Bankenstadt Frankfurt hat sich Nitz schwulenpolitisch engagiert und das Gay-Bankers-Network mit aus der Taufe gehoben, ein Zusammenschluss von schwulen Bankern und Finanzdienstleistern. Bislang geht es dort vor allem darum, sich über die Erfahrungen mit Kollegen und Arbeitgebern auszutauschen. Nicht alle gehen so offen mit ihrer Homosexualität am Arbeitsplatz um wie Nitz.
Der Zuspruch sei gut, beteuert er, es gebe eine stattliche Anzahl an Interessenten. Über die Stammtischebene reichen die Aktivitäten allerdings noch kaum hinaus. Für weiteres scheint die Zeit dafür nicht reif; die Stimmung in den Banken ist derzeit ohnehin alles andere als rosig.
„Als ich vor vier Jahren auf eigene Faust und mit viel Disziplin der Bergbau-Krisenregion entkommen war, schien hier erst mal alles anders zu sein. Aber ich musste feststellen, dass ich nur in die nächste Krisenkultur geraten bin. Ich war sicher einer der letzten, der in der Bankenwelt einen Vollzeitjob bekommen hat, dann kam der jähe Absturz der Börsen, die Verluste, der Crash der Wirtschaft. Jetzt habe ich schon einige Stellenabbauwellen überlebt. Die nächste steht unmittelbar bevor.“
Nitz wirkt zuversichtlich, dass er die Krise überstehen wird, auch wenn derzeit nichts auf ein Ende hindeutet.
„Wer weiß, vielleicht hat nicht nur mein Bruder im Ruhrgebiet dauernd mit drohender oder realer Arbeitslosigkeit zu kämpfen, sondern ich bald auch. Glückauf, sage ich da nur.“
Bei all den Möglichkeiten, die einem die rasant sich verändernde Gesellschaft auch eröffnet: Ein paar Gewissheiten würde man dann doch gerne behalten.
Abgründe hinter Glitzerfassaden:
Warum Selbstironie wie Gleitcreme fürs Leben ist
Apokalypse in Frankfurt-Niederrad, etwa zwei Jahre vor dem elften September: Zwei Männer ficken auf dem Dach eines Bürogebäudes. An den Fenstern eines benachbarten Hochhauses stehen Menschentrauben und gaffen, empören sich oder machen sich lustig über das Schauspiel, das ihnen da geboten wird. Dann nähert sich plötzlich eine verirrte Boeing 747 aus der Warteschleife über dem Flughafen, und während die beiden Homos auf ihren Orgasmus zusteuern, steuert die Maschine direkt auf die Schaulustigen zu und prallt mit ohrenbetäubendem Lärm in die Fassade. Hunderte von Menschen sterben.
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet dieses eine Bürohaus getroffen wird. Christian Bodenstein hat dort mal gearbeitet. Doch auch wenn der Ort und das Gebäude ganz real sind – die Katastrophe hat nur in seiner Phantasie stattgefunden. Eine Unmenge solcher Geschichten hat er sich schon ausgedacht. Und aufgeschrieben: Geschichten, die von Intrigen und Verrat erzählen, von Abgründen, die sich hinter glitzernden Fassaden auftun, von Sex und Gewalt. Schwule Trash-Literatur, bei der literweise Körperflüssigkeiten in alle Himmelsrichtungen spritzen. Gay Pulp Fiction nennt man das Genre in den USA und Großbritannien, wo es schon seit Jahrzehnten Kultstatus genießt. Dank Bodenstein, der als Werbetexter arbeitet und „irgendwann nicht mehr nur Nutztexte schreiben wollte“, gibt es das jetzt auch made in Germany. Und alles spielt in der hessischen Mainmetropole, die für diese abstrusen Endzeit-Visionen eine prima Kulisse abgibt. So verkehrt etwa der Satan persönlich im Schwejk, der „lustigen Kneipe“ – einem Homo-Lokal, das „die Szene auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringt“, wie es in der schwulen Goethe-Verwurstung Mein Name ist Faust! heißt.
„Es ist mir wichtig, dass alles in Frankfurt stattfindet“, sagt Bodenstein, der seine Romane unter dem Pseudonym citizen_b im Himmelsstürmerverlag veröffentlicht. Wir sitzen im Sunset, einem etwas biederen schwulen Café hinter der Kleinmarkthalle. Beim Sprechen wendet er mir das Gesicht nicht zu, nur die Augen schielen zu mir rüber. „Hier kenne ich jeden Winkel, und außerdem ist Frankfurt eine supertolle Stadt mit einer supertollen Szene.“
Ach ja? Und woher dann die unbändige Lust an der Zerstörung?
In einer Geschichte arrangiert er eine Bombenexplosion in einer Schwulenkneipe am Tag ihrer Eröffnung. In einer anderen lässt er einen athletisch durchtrainierten, sonnengebräunten Burschen ermorden; auf dem kalten Marmorfußboden findet man den splitternackten Körper, dessen physische Perfektion lediglich durch eine Stichwunde in der Brust etwas getrübt
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