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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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wird. Und dann natürlich das Büro-haus, in dem er früher gearbeitet hat und das er genüsslich durch den Flugzeug-Crash zum Einsturz bringt. In seiner Welt ist alles möglich.
    Treibt ihn da seine eigene dunkle Seite beim Schreiben an? Rache an seinen früheren heterosexuellen Kollegen? Am glatten schwulen Schönheitsideal? An der Szene? Oder überhaupt an der Oberfläche einer scheinbar heilen Welt?
    Christian Bodenstein alias citzen_b, gehüllt in ein schimmerndes Hemd mit stilisiertem Krokodilledermuster und Nadelstreifenhose, schaut etwas belustigt drein. Als würde er jetzt denken: Ach, nee, wieder so einer, der nach einer tieferen Bedeutung sucht!
    Souverän sieht er dabei aber nicht aus. Sein Gesicht schaut immer noch an mir vorbei, während die Augen rüberschielen.
    „Du meinst, ob ich dabei Genugtuung verspüre? Ja ... warum nicht? Die Arbeit an den Büchern ist für mich der reinste Eskapismus. Da kann ich alles einfließen lassen, auch Sex und Rachephantasien. Aber eigentlich will ich nur unterhaltsame Geschichten erzählen.“
    Das allerdings meistert er mit Bravour. Einfallsarmut kann man ihm nicht vorwerfen. „Dumm kickt gut“, hat er ein Kapitel in seinem Buch über einen schwulen Profifußballer genannt, der wegen seines Schwulseins erpresst wird.
    Ohnehin lässt citizen_b in jedem Absatz durchblicken, dass er das, was er da erzählt, für keine zehn Cent ernst nimmt. Ein Stilmittel, das seine Art von Trivialität deutlich abhebt von der üblichen Groschenliteratur – jenem Bastei-Universum also, in dem Schwule nicht zu existieren scheinen.
    „Selbstironie ist wie Gleitcreme“, sagt der 45-jährige, der vor 25 Jahren mal in der Punkband Die Radierer mit dem Furor jugendlichen Provokationseifers gegen das Establishment angesungen hat. „Man kommt damit überall durchs Leben.“ Und weil sich schwule Männer „aufgrund der Auseinandersetzung mit sich selbst nicht so ernst nehmen“, treffe diese Art von Humor den schwulen Nerv.
    Er jedenfalls gibt ein gutes Beispiel dafür ab. In der Flüchtigkeit unserer Begegnung kann ich mir bei ihm nur schwer vorstellen, dass er überhaupt irgendetwas ernst nimmt. Oder dass irgendetwas bei ihm noch einen großen Eindruck hinterlässt, etwa ein Staunen wie bei einem kleinen Jungen. Dafür hat er wohl schon zu viel Lebenserfahrung auf dem Buckel, auch wenn er für diese Art von Ironie eigentlich noch gar nicht das entsprechende Alter erreicht hat.
    Alles schon mal gesehen, alles schon mal erlebt, alles irgendwie durchschaut. Was sollte einen da noch überraschen?
    Für Frankfurt scheint diese abgeklärte Haltung repräsentativ zu sein. Ein paar Stunden später im Szenecafé Liliput bekommen meine Radarohren zufällig ein Gespräch am Nachbartisch mit. Ein Geschäftsmann um die vierzig erzählt von einem „anstrengenden Wochenende in Bangkok“. Es stellt sich heraus, dass er dort nicht etwa geschäftlich unterwegs war, sondern allein aus Privatver-gnügen. Wegen der Einweihung eines neuen Clubs, in dem eine Reihe besonders angesagter DJs auflegten. „Da ging die Post ab“, sagt er, doch wirklich begeistert klingt er dabei nicht. Auch nicht, als er von dem Abend darauf in Jakarta erzählt, von einem Club namens Embassy, der gerade „absolut hip“ sei. In dem verhaltenen Tonfall hätte er genauso gut von einem Mittagessen mit seinem Chef in der Pizzeria nebenan erzählen können.
    Ähnlich verhält es sich bei jenem Flugbegleiter, mit dem ich zufällig ins Gespräch komme und der mir von seinem Job erzählt: Langstreckenflüge nach Mexiko, Sydney, Hong Kong und Washington. Überall verweilt er zwei oder drei Tage, überall hat er ein paar Bekannte, mit denen er abends um die Häuser auf den angesagten Vergnügungsmeilen zieht. Für richtige Freundschaften ist er nirgendwo verwurzelt genug.
    Plötzlich sagt er ohne einen Hauch von Ironie: „Ich habe praktisch schon die ganze Welt gesehen.“
    Die ganze Welt!
    So, so. Aber sehen die Flughäfen, Cocktailbars und Vier-Sterne-Hotels dieser Welt nicht überall gleich aus?

    Hamburg
    Toleranz auf Hanseatisch
    Geld, Sex und Dünkel:
Hamburg, die letzte Bastion des elitären Bürgertums
    Der hochgewachsene junge Mann vor der riesigen Modellbaustadt der geplanten Hafen-City macht einen für hanseatische Verhältnisse ungewohnt wenig zurückhaltenden – um nicht zu sagen: begeisterten – Eindruck.
    „Entlang der alten Kaianlagen entsteht in den nächsten Jahren Raum für mehr als 40.000 Arbeitsplätze und

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