Grenzen der Sehnsucht
Wohnungen für über 12.000 Bewohner“, schwärmt er und zieht dabei erwartungsfroh die Augenbrauen hoch – für einen Hamburger schon fast ein Ausdruck der Überschwänglichkeit. „Wenn alles fertig ist, wird die Innenstadt um mehr als 40 Prozent größer sein als heute.“
Hier, in einer Ausstellung im alten Kesselhaus in der Speicherstadt, kann man sich von diesen futuristischen Visionen vorab ein Bild machen.
Ohne Zweifel: Das Lieblingsprojekt des Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust ist ein beeindruckendes Vorhaben, das endlich für Aufbruchstimmung sorgt, nachdem die Stadt eine Zeit lang im Dornröschenschlaf verharrt war. Die spektakulären Illustrationen von den neuen Erlebniswelten, die da dereinst entstehen sollen, all die Entwürfe für die Kuppeln, Zeltdächer und Hochhäuser, die schon von weithin sichtbar sein werden, und schließlich die neue U-Bahn, die unter der alten Speicherstadt verlaufen wird: All das erinnert sehr an den Berliner Größenwahn, der kurz nach dem Mauerfall Städteplaner und Investoren aus aller Welt euphorisiert hatte. Heute steht in der Bundeshauptstadt die Hälfte der neugebauten Immobilien leer. Viele Banken, Projektentwickler und die Stadt befinden sich kurz vor dem Ruin.
Nun will also die Stadt an Elbe und Alster einen Versuch wagen. Und – allen Prognosen von einer abnehmenden Bevölkerung zum Trotz – ganz groß herauskommen in Europa. Von einem „grandiosen Stadterweiterungs-pro-jekt“ ist die Rede, gar von dem größten auf dem ganzen Kontinent!
Ausgerechnet aus Hamburg kommen nun solche Töne, wo doch hier traditionell großen Wert auf Zurückhaltung und Bescheidenheit, auf das so genannte Understatement, gelegt wird. Damit ist es allerdings seit geraumer Zeit nicht mehr so weit her. Auch nicht in der Homo-Szene, die im ersten Sommer nach dem Outing ihres schwulen CDU-Bürgermeisters eine fulminante Europride-Parade angekündigt hatte. Eine, die man in Deutschland noch nicht gesehen hat. Scharenweise Homo-Touristen von Portugal bis Ungarn sollten in die Stadt einfallen und den steifen Nordlichtern zeigen, wie man in weniger verregneten Gefilden die Stimmung zum Kochen bringt.
Doch die ersehnten Gäste blieben aus, die Erwartungen stellten sich als übertrieben heraus, Katerstimmung machte sich breit. „Die prognostizierten Besucherzahlen wurden längst nicht erreicht“, schrieb der enttäuschte Chefredakteur Stefan Mielchen vom Hamburger Schwulenmagazin hinnerk seinen Lesern ins Editorial. Statt der erwarteten 600.000 Teilnehmer hätten sich nach Angaben der Veranstalter gerade mal 360.000 zum Feiern eingefunden. Wenn es denn überhaupt so viele waren: „Hamburg steht als gay destination nach wie vor an Attraktivität hinter Berlin, Köln und ausländischen Metropolen wie Amsterdam zurück.“
Auch an finanzieller Ausstattung des Organisators Ham burg Pride habe es gehapert, klagt Mielchen, von ehrenamtlicher Unterstützung ganz zu schweigen. Es habe das Bewusstsein gefehlt, dass etwas Besonderes in Hamburg stattfinden sollte. Und das, obwohl die Stadt mit dem ausgeprägten Bürgersinn normalerweise keine Probleme mit Engagement und Mäzenatentum hat. Nur was schwul-lesbische Projekte betrifft, da sind die Hamburger pingeliger als sonst.
Mit Sparsamkeit oder Geiz hat das allerdings herzlich wenig zu tun.
Die Wahrheit ist: In Hamburg, der wohlhabendsten Stadt Deutschlands, haftet Schwulsein in weiten Kreisen immer noch ein gewisser Makel an, eine Art Stallgeruch von Rotlichtmilieu, das in der Stadt schon seit jeher eine Schlüsselrolle gespielt hat. Umso wichtiger, sich davon zu distanzieren. Dass Homosexualität auch eine soziale Dimension hat, dass es Verhältnisse und Bindungen gibt, die über sexuelle Kontakte hinausreichen, das scheint im hanseatischen Establishment, der letzten Bastion des gehobenen Bürgertums, noch nicht so richtig angekommen zu sein. Zwar weiß auch dort inzwischen jeder, dass das Stadt-oberhaupt schwul ist – aber, nun ja, das ist eine Schwäche, die man ihm großzügig nachsieht. Vor allem, weil er sich im Unterschied zum Berliner Bürgermeister nicht selbst geoutet hat. Während man Wowereits leidenschaftlich vorgetragenes Coming-out im altehrwürdigen Hamburg als Aufdringlichkeit, ja, bisweilen sogar als Geschmacklosigkeit empfand, wurde Ole von Beusts kühles Bekenntnis, sein Privatleben niemandem zumuten zu wollen, als heroische Tat geadelt. Natürlich auch von Schwulen, die aus denselben Kreisen stammen wie er.
Das
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