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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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dieser Stadt“ – er holt einmal tief Luft – „und irgendwo ankommen. Am Ende heiraten, vielleicht am Römer vor dem Standesamt. Eine Freundin von mir hat neulich geheiratet, darum beneide ich sie. Tradition und Wertvorstellung sind wichtig. Und was ist mit mir? Ich wohne immer noch in einer WG.“
    Flüchtig lässt er seinen Blick durch das Zimmer gleiten und macht dabei einen unzufriedenen Eindruck.
    „Die Wohngemeinschaft ist ein guter Ersatz, etwas für eine junge Lebensphase, aber nicht mein Ziel.“
    Das hört sich beinahe nach Selbstvorwürfen an. Gerade so, als hätte er sich nicht genug Mühe gegeben, eine richtige Partnerschaft auf die Beine zu stellen, ja, als hätte er womöglich nicht am richtigen Ort gesucht. Manche Schwule tingeln dafür sogar durch die halbe Welt, wechseln immer wieder den Wohnort und werden nie richtig sesshaft. Andere wiederum sind ein halbes Leben lang bereit, alles stehen und liegen zu lassen, wenn sie nur irgendjemand abholen würde, und das alles für die Suche nach dem Traumprinzen, die eigentlich eine Identitätssuche ist: Wo gehöre ich hin? Wo habe ich meinen Platz?
    Die Frage bewegt auch Nitz, der sich ohnehin als konservativ bezeichnet und davon überzeugt ist, dass Menschen „klare Identitäten“ brauchen, weil es für sie dann einfacher ist, sich selbst zu finden. Dabei ist seine Identität alles andere als klar. Dazu kommt, dass seine leiblichen Eltern türkischer Herkunft sind. Türkisch spricht er aber nicht, weil er in einer deutschen „Pflegekinderdynastie-Familie“ mit noch weiteren Adoptivkindern aufwuchs. In die Türkei ist er bislang nicht gereist. Auch brennt es ihm keineswegs unter den Nägeln, seinen Vater kennen zu lernen, der vor Jahren in sein Heimatland zurückgekehrt ist.
    Spielt seine türkische Identität für ihn denn überhaupt eine Rolle?
    „Während meines Studiums in Duisburg habe ich das deutsch-türkische Forum der Christdemokraten im Ruhrgebiet mitgegründet und war eine Zeit lang der Vorsitzende. Das war mir wichtig, an einem deutsch-griechischen Forum etwa hätte ich mich nicht beteiligt. Aber ich hatte nie den Drang, das Türkische zu vertiefen. Obwohl da schon etwas in mir aufflackerte, als die Türkei 2003 zum ersten Mal den Eurovision Song Contest gewann. Das hat mich umgehauen, ich fand das großartig.“
    Er lächelt verstohlen und fügt hinzu: „Da ist es, das alte Schwulenklischee. Jetzt, da Istanbul den Schlagerwettbewerb ausrichtet, werde ich zum ersten Mal in die Türkei reisen.“
    Ganz und gar keinem althergebrachten Schwulenklischee entspricht hingegen sein Engagement in der CDU, wo er vor ein paar Jahren neben diversen Tätigkeiten die Interessengruppe der Lesben und Schwulen in der Union aus der Taufe hob, gemeinsam mit anderen. Da war er gerade mal Mitte zwanzig. Vielleicht das beste Alter, um schwulenpolitisch etwas zu bewegen, denn wer noch in Erinnerung hat, wie verbissen sich die Unionsparteien früher gegen jedwede sexuelle Emanzipation sperrten, würde für ein solches Engagement nicht die nötige Unvoreingenommenheit aufbringen. Nur wer nicht miterlebt hat, wie ein Peter Gauweiler in den Achtzigern Stimmung gegen Schwule machte, nur wer Franz-Josef Strauß gerade mal aus dem Geschichtsbuch kennt, der kann sich von jedem ideologischen Ballast frei fühlen. Und von seinem Gegenüber dieselbe Unbefangenheit einfordern – eben so, wie es erst einer jungen Generation möglich ist. Ganz postmodern, wenn man so will. Anything goes.
    Lange hat es gebraucht, bis man die LSU in der Union überhaupt zur Kenntnis nehmen wollte. Gemessen am Stand, den man bei den Grünen in jahrzehntelanger Arbeit zu schwul-lesbischen Themen erarbeitet hatte, musste man in der Union praktisch bei Null anfangen. Ist man da nicht erst mal damit beschäftigt, grundsätzlich bei den Partei-mitgliedern Aufklärungsarbeit zu leisten und die eigene Sexualität zu rechtfertigen? Und muss man sich nicht etwa unentwegt doofe Sprüche anhören?
    Nitz zuckt mit den Achseln. „Die landläufige Meinung über die CDU als homophobe Partei kann ich nicht teilen, das ist mir zu klischeehaft“, sagt Nitz, „jedenfalls habe ich nie irgendein Problem gehabt. Selbstverleugnung kommt für mich nicht in Frage, aber das hat von mir auch noch keiner verlangt. Warum sollte man als Schwuler nicht konservativ sein können? Die Grünen, für die ich mich anfangs engagierte, finde ich immer noch sympathisch, aber ich denke inzwischen anders. In wirtschaftlichen

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