Grenzen der Sehnsucht
ist eben ganz die hanseatisch-großbürgerliche Variante der Toleranz: Sexuelle Ausschweifung im Privaten ist durchaus erlaubt, das geparkte Cabriolet vor dem Edelpuff in Eppendorf oder Winterhude kein wirkliches Problem, ja, sogar der Besuch in den zwielichtigsten Kneipen auf der Reeperbahn in Sankt Pauli stellt an sich keinen Regelverstoß dar. Auch die Teilnahme an schwulen Sex-Partys bewegt sich im Rahmen des Möglichen. Nur öffentlich sprechen darf man darüber keineswegs – nicht über sexuelle Laster, aber auch nicht über den schwulen Freund, zu dem man eine Beziehung pflegt, denn alles, was mit Homosexualität zu tun hat, gilt nach wie vor als Schmuddelkram, den man in einer finsteren Kammer auszuleben hat.
Darum kam in der seltsamen Geschichte des Bürger-meister-Outings auch nicht von Beust die Rolle des Buhmanns zu, sondern dem Rechtspopulisten Ronald Barnabas Schill, dem man bis dahin alles mögliche hatte durchgehen lassen.
Zum Beispiel, dass Schill mit Kokaingeschichten in Verbindung gebracht wurde, oder dass er im Bundestag eine rassistische Rede hielt und den Kampf gegen Kleinkriminalität mit Vorschlaghammermethoden führte. Für alles drückte man ein Auge zu.
Aber als er das Verhältnis des Bürgermeisters mit dem Justizsenator Roger Kusch verpetzen wollte – zu allem Überfluss auch noch mit Herpes an der Lippe und vor versammelter Reporterschar –, da übertrat Schill eine Grenze. Genau das empfand man in Hamburg als zutiefst unhanseatisch: etwas öffentlich zum Thema zu machen, über das man schlicht und ergreifend nicht sprechen darf. Basta.
Ole von Beust hingegen hatte sich an diese Regeln gehalten, und dafür war man ihm dankbar. Zumindest im Milieu der alteingesessenen Patrizierfamilien aus den Elbvororten, denn dort wird auf Etikette großen Wert gelegt. In diese Gemeinschaft findet von außen nur Zugang, wer sozial kompatibel ist, also wer einen stabilen, finanziell abgesicherten Lebenswandel vorweist, über einen entsprechenden Bildungsgrad verfügt und Erfolg versprechende Zukunftspläne darlegen kann. Liebesbeziehungen sind dort zuvorderst Zweckbindungen, bei denen der Sex ohnehin nur eine untergeordnete, ja fast abgespaltene Rolle spielt. Wer darauf beharrt, öffentlich zu seiner Homosexualität zu stehen, dem wird schon allein deswegen misstraut, weil er eine persönliche Leidenschaft zu sehr in den Vordergrund rückt. Das gilt als höchst unsouverän.
„Als ich meinen Verwandten von meinem Schwulsein erzählte, war der Teufel los“, erzählt mir ein Medizinstudent, mit dem ich im Café Gnosa auf Hamburgs Homo-Meile Lange Reihe ins Gespräch komme. „Eine Tante meinte, ein ernstes Wort mit mir reden zu müssen und sagte mit gehobenem Zeigefinger: ,Junge, du kannst von mir aus machen was du willst, aber wenn du das an die große Glocke hängen willst, dann wollen wir nichts mehr mit dir zu tun haben, dann wirst du von uns nicht weiter unterstützt.’“
Natürlich gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel. Ole von Beusts Vater gehört zum Beispiel dazu. Der sagte in einem Interview, im Unterschied zu seinem Sohn sei er der Ansicht, dass die Öffentlichkeit über dessen Homosexualität Klarheit verlange. In ganz wenigen konservativen Familien sind die Väter eben klüger als ihre schwulen Söhne. Allerdings scheint die Einsicht des Familienoberhaupts in diesem Fall nicht gefruchtet zu haben.
Und so kommt es, dass der Hamburger Bürgermeister unter den selbstbewussteren Homos der Stadt als „Klemm-schwester“ verrufen ist. Notgedrungen lässt er sich eine Viertelstunde auf der Christopher Street Day-Parade in der Langen Reihe blicken, doch ansonsten hat er seine liebe Not mit der schwulen Identität. Sie ist für ihn vor allem deshalb ein unlösbares Problem, weil sie vor Standesgrenzen nicht halt macht. In der deutschen Hochburg des Dünkels stellt jede Form von sozialer Durchmischung eine Bedrohung dar.
Übrigens ist der Dünkel nicht allein auf konservative Bevölkerungsschichten beschränkt. Auch im linksliberalen Bildungsmilieu zeigt sich das Bedürfnis nach elitärer Abgrenzung – und zwar ausgeprägter als anderswo. Auch dort gibt es so etwas wie den guten Ton, der sich etwa dadurch auszeichnet, seinen Tee im Bio-Feinkostladen einzukaufen, die Zeit zu abonnieren und Kinofilme ausschließlich in der Originalfassung anzuschauen, ob mit oder ohne Untertitel. Den Genuss von kulturell Trivialem behält man besser für sich, denn das gilt als unfein und wird mit
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