Grenzen der Sehnsucht
Geschichten, die man vom Kiez hört, nur sind sie bislang kaum ordentlich recherchiert und aufgeschrieben worden.
Die Stadt, der Sex und die schwul-lesbische Subkultur – all das ist eng miteinander verwoben. Die Zusammenhänge wurzeln tief in der Geschichte Hamburgs, noch ist das meiste davon unerforscht, im Gegensatz zu Berlin etwa, wo bereits in den achtziger Jahren eine große Ausstellung zur schwul-les-bischen Stadtgeschichte gezeigt wurde. Das Wenige, das man über die Hamburger Homo-Historie weiß, kommt allerdings recht lebendig daher. Und doch wurde es von der etablierten Geschichtsschreibung in der Hansestadt lange ignoriert. Noch in den neunziger Jahren sollten im Hamburger Staatsarchiv zahlreiche Straf-prozessakten des ehemaligen Diskriminierungsparagraphen 175 einfach vernichtet, ein Stück Geschichte in den Reißwolf geworfen werden. Und das, obwohl sie fast vollständig erhalten geblieben waren. Moritz Terfloth gehört zu jenen, die dagegen protestierten und einen kleinen Teil retten konnten. Im Verein zur Erforschung der Geschichte gleichgeschlechtlichen Lebens in Hamburg leisten sie nun „absolute Pionierarbeit“ auf diesem Gebiet. Seit einigen Jahren werten die ehrenamtlichen Mitglieder fleißig alle möglichen Quellen aus, sammeln Material aus Privatbesitz und treiben Zeitzeugen auf. Mit dem Museum für Ham burgische Geschichte als Schauplatz der ersten Ausstellung zum Thema – Von Klappen und Nestern – konnte man eine „große seriöse alte Dame der städtischen Kulturlandschaft“ als Förderin gewinnen. Auf die Honorigkeit des Hauses legt Terfloth großen Wert, denn die Aufarbeitung schwul-lesbischer Geschichte soll sich nicht nur an Betroffene richten, sondern „jede und jeden auch mit sich selbst konfrontieren: mit bis heute brisanten Fragen zu Geschlecht, Rolle und Sexualität, mit gesellschaftlich sanktionierten Vorstellungen von Beziehungen und Liebe“, wie es auf der Homepage des Vereins heißt.
Ein anspruchsvoller Vorsatz. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sich das Interesse an Geschichte unter jüngeren Leuten nicht gerade wachsender Beliebtheit erfreut. „Besonders, was schwul-lesbische Geschichte betrifft, gibt es praktisch kaum ein Bewusstsein.“
Ist für ihn die schwul-lesbische Bewegung an ein Ende angekommen? Haben wir nun alles erreicht? Und markieren für ihn als Historiker die Erfolge der letzten dreißig Jahre eine unumkehrbare Entwicklung?
Moritz Terfloth schüttelt den Kopf.
„So lange die sexuelle Orientierung ein Unterschiedskriterium bleibt, ist jederzeit ein roll back möglich. Außerdem ist bis heute die Zahl der späten Coming-outs nicht gesunken, was aber der Fall sein müsste, wenn es denn keine Benachteiligung mehr gäbe. Stattdessen ist die Diskriminierung ins nicht Greifbare abgerutscht. Wer heutzutage etwas gegen Schwule oder Lesben hat, erfindet irgendeinen Vorwand, wenn er einen aussortieren möchte.“
Eine glamouröse Drag Queen als Professorin:
Warum schwule Identität nur eine Krücke ist
Sie ist die berühmteste Drag Queen Hamburgs, ja, wenn nicht sogar Deutschlands. Mit aufgetürmter Perücke und Stilettos muss man fast zwei Meter zu ihr aufblicken, das Make-up ist so konturenscharf und farbenfroh aufgetragen wie bei Ronald McDonald, entsprechend sieht auch der Fummel aus. Irgendwie schrill eben. Die möglichst auffällige Inszenierung ist ihre Stärke, und über ihre Agentur kann man Olivia Jones auch buchen. Für Betriebsfeiern zum Beispiel. Oder für Musicalpremieren, wie etwa bei Tanz der Vampire, wo sie sich einfach nur unters Galapublikum mischen sollte. Auch TV-Politkrawallmagazine wie Explosiv oder Blitz sind schwer hinter ihr her. Die brauchen nämlich hin und wieder einen medientauglichen Paradiesvogel, der zu einem aktuellen Homo-Thema seinen Senf dazu gibt und dabei nicht allzu sehr in die Tiefe geht. Zum Beispiel, als Guido Westerwelle sein politisches Co-ming-out als Schwuler feierte.
„Politiker sollten ehrlich sein“, meinte dazu Olivia Jones und wirkt dabei so treuherzig wie in einem Werbespot, in dem Big-Macs für alle! als politische Losung ausgegeben wird. Und fügt arglos hinzu: „Deutschland ist toleranter, als man denkt.“
Zu verdanken hat sie ihren bundesweiten Bekanntheitsgrad vor allem ihrer Kandidatur für die Hamburger Bürgerschaft, nachdem die Koalition zwischen Beust und Schill zerbrochen war. Politisch geriet ihr Wahlprogramm zwar etwas dünn – das einzige, was hängen blieb, war, dass sie im
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