Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
Vom Netzwerk:
Rathaus eine riesige Party veranstalten wollte, natürlich für einen guten Zweck. In eigener Sache war das sicher ein gelungener Publicity-Coup. Denn zumindest Reporter von Sendern wie RTL und Sat 1 mögen Typen wie Olivia Jones, die sich mit kindlicher Freude vor den Kameraobjektiven zu inszenieren wissen.
    Ganz fruchtlos war das nicht. Schließlich hat sie es mit 4440 Wählerstimmen immerhin geschafft, die alte Schill-Partei und die Partei bibeltreuer Christen auszustechen. Das war’s vermutlich schon mit der Politkarriere, und wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass Olivia Jones ja auch nicht wirklich etwas zu sagen hat, jedenfalls nicht in der Politik.
    Aber unter jungen Schwulen ist sie populär, und darüber hinaus versteht sie es, für jedes gewünschte Thema gleich scharenweise Kameramänner und Reporter aufzuscheuchen. Das muss wohl der Grund gewesen sein, warum sie von Studierenden aus Hamburger Hochschulkreisen als Symbolfigur auserkoren wurde. Olivia Jones ist nämlich die erste Ehrenprofessorin der so genannten Queer Stu dies, jenem viel versprechenden und noch relativ neuen Studiengang aus den USA, der sich mit dem Mann- und Frausein, mit Geschlechterrollen sowie mit unterschiedlichen Spielarten von Sexualität auseinandersetzt. Dabei wird grundsätzlich von einer immer noch umstrittenen Grundannahme ausgegangen: nämlich dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht nur biologisch, sondern vor allem gesellschaftlich und kulturell bedingt sind.
    Demnach tragen nicht etwa die Gene die Verantwortung dafür, dass Männer häufig geschickter unter der Motorhaube hantieren und sich Frauen auf Stöckelschuhen besser fortbewegen können, sondern die Erwartungen, die an sie gerichtet sind. Die Rollen ließen sich genauso gut auch umkehren – dafür sind Drag Queens und Drag Kings der schlagkräftigste Beweis.
    Wer also könnte der Öffentlichkeit eine solche Forschungslücke symbolträchtiger vermitteln als die weit über die Grenzen Hamburgs bekannte Olivia Jones?
    Jedenfalls sind die Thesen der Queer Theory kein Selbstläufer. In Deutschland kam es bislang noch zu keinem Aha-Effekt auf breiter Front. Ganz im Gegenteil, auf Öffentlichkeitsarbeit sind ihre Anhänger dringend angewiesen, denn kaum dass sich das Fach hierzulande zu etablieren begann, formierte sich auch schon Widerstand. In Hamburg war bis Anfang 2004 eine bundesweit einmalige Professur vorgesehen, um sie dann doch zu verwerfen. Für die betroffenen Studenten und Dozenten eine große Enttäuschung.
    „Die queere Ecke der Gender- und Queer-Studien ist politisch nicht mehr gewollt“, ist etwa Stefan Micheler überzeugt. Und das, obwohl er „ganz hervorragend läuft und Studierende aus ganz Deutschland nach Hamburg zieht“.
    Micheler ist Lehrbeauftragter des Fachs und außerdem seit den frühen Neunzigern Mitglied der Arbeitsgemein schaft LesBiSchwule Studien.
    Tatsächlich ist die Begeisterung für das Thema bislang nur auf ein akademisches Milieu beschränkt. Außerhalb davon existiert eine Grenze, hinter der nach wie vor das heilige Gesetz gilt, dass Männer und Frauen von Natur aus gegensätzlich seien und sich als Paar sinnvoll ergänzten. Von gesellschaftlichen Normen will man da nichts wissen – stattdessen sollen Hormone und Hirnstrukturen der Grund dafür sein, „warum Frauen schlecht einparken und Männer nicht zuhören können“, wie der Titel eines populären Sachbuchs daherquakt.
    Auf derselben Welle reiten die Macher von Lifestylezeitschriften wie Men‘s Health und Amica – Publikationen also,
    die wohlweislich Männer oder Frauen gezielt ansprechen, und nicht irgendeine diffuse Gruppe dazwischen. Dabei berufen sich die Blattmacher auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in der Hirnforschung, die mittels Magnetresonanz-Tomografien organische Unterschiede zwischen Männern und Frauen erkennen lassen. Allerdings ist das Gehirn eines der veränderlichsten Organe des menschlichen Körpers, in dem man je nach Inanspruchnahme bestimmte Bereiche wachsen oder verkümmern lassen kann, so ähnlich wie bei Muskeln. Die These von der naturgegebenen Gegensätzlichkeit männlicher und weiblicher Fähigkeiten lässt sich dadurch nicht belegen.
    Wenn sich allerdings das Gegenteil beweisen ließe – was würde das eigentlich für unsere geschlechtliche Identität bedeuten? Wenn, mal abgesehen von ein paar biologi-schen Unterschieden, Mannsein und Frausein nicht mehr wäre als nur ein Verhaltensmuster, das wir uns im Laufe

Weitere Kostenlose Bücher