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Grenzfall (German Edition)

Grenzfall (German Edition)

Titel: Grenzfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kröger
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das ist bestimmt nur das Set zum Golfspielen.
    Nick wendet den Wagen. Quincy springt ihr von hinten auf den Schoß. Mattie wirft einen letzten Blick auf das in den Berghang hineingebaute Haus der Walthers. Diese ganze Siedlung ist deprimierend. Der Natur aufgezwungen. Jeder sitzt in seinem Bunker. Und erstickt an der Leere des Lebens. Oder an der eigenen Kotze. Ein Dunst von Schlaftabletten, Antidepressiva und zu viel Rotwein hängt in der Luft. Nur beste Jahrgänge, versteht sich. Sie vergräbt ihre Nase im Hundefell.
    »Er hat Angst.« Mattie sieht Nick an. Er fährt mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich glaube, er hat Angst, auch so zu sterben wie Uwe Jahn.«
    »Ist mir scheißegal.« Nick fährt zu schnell. »Von mir aus kann der morgen verrecken. Blödes Arschloch.«
    Irgendwie hat er recht. Walther hat zwei Leute erschossen. Alles, was er tut, ist, seine Versicherung und seinen Anwalt anzurufen.
    Mattie legt ihre Hand auf Nicks Bein. Seine Wut gibt ihm Deckung für eine ganz andere Baustelle. Dieser alte Mann in seinem Haus hat Nick in blanke Panik versetzt. Er hat sich selbst gesehen, ein möglicher alter Nick, umgeben von Besitz und Leere.
    Mattie lässt ihre Hand, wo sie ist. Und Nick lässt sein Bein, wo es ist.

30. Juni 2012, Hansestadt Kollwitz
Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland
    Just gonna stand there –
    Immer wenn die Kirchentür aufgeht, hört Nadina durch das offene Fenster die Orgel. Sie hat die Fotos vor sich ausgebreitet.
    Kann sich nicht konzentrieren.
    Hält sich die Ohren zu.
    Love the way it hurts.
    Wieder die Orgel. Feierlich. Hundert Meter weiter wird der Mörder ihres Vaters beerdigt. Etwas zieht sie dorthin, in die Kirche. Sie sieht sich selbst. Sie trägt Schwarz. Geht an ihnen vorbei. Seinen Kindern. Seinen Enkeln. Sieh mich an. Ertrage meinen Blick.
    Watch me burn.
    Die Haustür reißt sie aus ihren Gedanken. Gestern waren die Faschisten hier. Ganz nah. Während sie gerade mit Raluca geskypt hat. Nadina steht auf und greift nach dem nächstbesten Gegenstand. Ein Metalllineal. Nein, lieber den Bleistift. Er ist spitz.
    Schritte in der Diele.
    »Hallo?« Bevor sie den Bleistift weglegen kann, steht Mattie in der Tür. »Nadina!«
    Matties Hund rennt zu ihr und springt kläffend an ihrem Bein hoch. Sie tritt zu. Reflex. Jaulend rutscht er übers Parkett zu seiner Besitzerin.
    »Spinnst du!« Mattie nimmt das zitternde Bündel Fell auf den Arm.
    »Tut mir leid.« Nadina versucht sich zu entspannen.
    Mattie wirft ihr einen skeptischen Blick zu. Dann sieht sie sich um. »Wo ist die Pastorin?«
    »Drüben bei der Trauerfeier.« Sie deutet zur Kirche. Die Orgel spielt wieder. »Der Mann wird heute beerdigt.«
    »Ich weiß.«
    Sie starrt Mattie an. Hat die etwa Mitleid mit dem Typen? »Mama sagt, es ist gut, dass er tot ist.«
    Mattie starrt zurück. Setzt den Hund ab. Macht zwei Schritte auf sie zu. Ey, was soll das denn werden? Nimmt sie in den Arm. Mattie riecht gut. Nicht so gut wie Mama. Aber es geht.
    »Ich dachte schon, die kommen wieder.« Die Geschichte mit dem Müll bricht aus ihr heraus. Sie zerrt Mattie nach draußen, zeigt ihr den Container und das Schild, das noch in der Karre liegt. »Gesine sagt, sie bewahrt es auf, falls noch mal was ist.«
    »Die Polizei war nicht da?«
    Nadina schüttelt den Kopf. »Ist doch nichts passiert.«
    »Lass uns hier verschwinden.« Mattie schiebt sie zurück zum Haus. »Hast du schon mit der Arbeit angefangen?«
    Sie gehen wieder ins Büro. Nadina zeigt ihr die Fotos in der Reihenfolge, die sie sich für die Ausstellung überlegt hat. »Hier, Adriana steigt in den Bus. Als letztes Foto will ich zeigen, was sie sieht. Diese Typen mit den brennenden Flaschen.«
    Ohne ein Wort geht Mattie die ganze Fotoserie noch mal durch. »Kann ich die ausleihen? Sind ja nur die Kontaktabzüge.«
    »Keine Ahnung. Muss Gesine entscheiden.«
    Was haben die bloß alle mit den Fotos? Mattie wirkt plötzlich so nervös. »Okay, komm, wir fragen sie. Die Trauerfeier müsste jetzt vorbei sein.«
    Richtig, die Orgel spielt nicht mehr. Mattie stapelt die Fotos auf, ohne die Reihenfolge durcheinanderzubringen, und nimmt sie mit.
    Nadina folgt ihr zum Bus, wo der Hund eingesperrt wird. Sie gehen über den Vorplatz zur Kirche. Die Tür ist offen. Noch bevor sie dort sind, kommt Gesine raus. Sie trägt ein schwarzes Priestergewand. Hinter ihr gehen zwei Männer in dunklen Anzügen, die die Urne in einem Metallgerüst tragen. Nadina bleibt stehen und zählt. Zehn Menschen

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