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Grenzfall (German Edition)

Grenzfall (German Edition)

Titel: Grenzfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kröger
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der Dachschräge. Schon jetzt herrschen hier gefühlte fünfzig Grad. Der Schreibtisch wirkt unberührt, kein Nick-typisches Chaos aus Papieren, Chipstüten und vollen Aschenbechern. Sie stellt den Karton ab und fühlt die dicke Staubschicht unter ihren Fingern.
    Als sie wieder runterkommt, sitzt Azim zufrieden in seinem Hochstuhl und kaut an einem Stück Apfel. Nick hat seinen Laptop aufgeklappt.
    »Hey, woran schreibst du gerade?«
    »Schreiben?« Er lacht sarkastisch. »Ich bin froh, wenn ich dazu komme, die Zeitungen zu lesen, für die ich früher geschrieben habe.«
    Sein Ton trifft sie mehr als die Worte selbst. »Aber du hast doch alles.« Sie macht eine weit ausholende Geste in Richtung des offenen Wohnzimmers mit Spreeblick.
    Nick folgt ihrer Hand mit den Augen. »Und du glaubst, das bedeutet mir was? Ich dachte, du würdest mich besser kennen, Mattie Junghans.«
    Auf einmal versteht sie. Nick der Spieler. Wenn er ein neues Leben hat, probiert er sich so lange darin aus, bis ihm langweilig wird. Dann sucht er die Tür zum nächsten Level. Weiterspielen. Score. Er hat es weit gebracht. »Das ist kein Spiel, Nick. Dies hier dauert achtzehn Jahre. Wenn du Glück hast.«
    Azim sieht hoch, als ob er merkt, dass hier über ihn verhandelt wird. »Tick!«, sagt er.
    Nicks Ausdruck wird weich wie Butter. Mit zwei Schritten ist er bei seinem Sohn und hebt ihn hoch über seinen Kopf. »Hast du gehört? Er kann meinen Namen sagen!«
    Na ja, mehr oder weniger.
    »Das verstehst du nicht, Mattie. Ein Kind verändert dein Leben auf unglaubliche Weise.«
    Jetzt aber nichts wie weg.
    An der Ampel in der Schlesischen hämmern seine Worte immer noch in ihrem schmerzenden Kopf. »Das verstehst du nicht, Mattie.« Hat Kamal das nicht auch gesagt? »Das verstehst du nicht. Du hast keine Kinder.« Verdammt, wer sagt denn, dass sie keine Kinder will? Gut, sie hat sich nicht drum gerissen. Wie auch, mit Emma als leuchtendem Vorbild? Nick wollte, wenn überhaupt, noch keine Kinder, als sie zusammen waren. Kamal wollte keine mehr . Was für ein Schlamassel.
    Touristen hängen wie Insektenschwärme vor den Hostels ab. Dann taucht links das ehemalige Speicherhaus auf. Die Spreespeicher sehen heruntergekommen aus. Das Schild zum Badeschiff hängt noch. Damit klärt sich die Frage nach einer passenden Duschgelegenheit. Mattie scannt die Umgebung auf ihrer inneren Landkarte. Rechts hinter der Brücke liegt die Wagenburg von Didi. Emma hat dort jeden Tag im Garten mitgeholfen, als Mattie in den Spreespeichern gearbeitet hat. Eine Wagenburg wäre mit ihrem Bus natürlich naheliegend. Aber schon der Gedanke, sich auf dem wöchentlichen Plenum vorzustellen, verursacht Unwohlsein. Neue Regeln. Neue Utopien, die nicht ihre sind. »Was, du willst hier Tiere verzehren? Kommt überhaupt nicht in Frage.« Mattie braucht ab und zu Fischstäbchen, unbedingt. Fleisch nicht ganz so unbedingt, aber auch lecker. Also, ein alternativer Kleingartenverein geht schon mal nicht.
    Links von ihr zieht der Park mit dem sowjetischen Ehrenmal vorbei. Moment, dahinter liegt doch der Plänterwald! Sie setzt den Blinker und biegt ab. Ganz hinten, wenn man geradeaus weiterfährt, geht es zur Insel der Jugend. Ein mittelgroßer Parkplatz direkt an der Spree, nur fünf Minuten Jogging vom Badeschiff entfernt. Eine gute Wahl. Vielleicht ein bisschen einsam, aber das macht ihr nichts.
    Langsam rollt sie über den Asphalt auf die Wasserkante zu. Ein Stück weiter stehen schon zwei VW-Busse. Noch ein paar Camper, umso besser. Sie setzt zurück und stellt den Bus in höflichem Abstand auf. Ist doch purer Luxus, mit Blick auf das Wasser und den Plänterwald mit seinem verfallenen Themenpark.
    Den Tag verbringt sie mit Lesen und Leute-Beobachten am Fluss. Abends geht sie zu Fuß zum Einkaufen im Treptower Park Center . Als sie mit Tüten beladen zurückkommt, sitzen die Camper auf Klappstühlen zwischen ihren Bussen. Je näher sie kommt, desto mehr Leute scheinen sich aus dem Schatten zu materialisieren. Eine Frau steht auf, um etwas aus dem Wagen zu holen. Langer Rock, lange dunkle Haare. Mattie erschrickt. Das sind keine Camper! Die Angst kommt unmittelbar, ohne Nachdenken. Ruhig, Mattie. Was soll denn passieren? Die paar Wertsachen sind bei Nick, ihren Laptop hat sie immer dabei, und die Kisten – weiß der Himmel, was da überhaupt drin ist.
    »Guten Abend!«, grüßt sie tapfer in Richtung der beiden Vans. Ein Mann mit einem dicken Bauch nickt ihr zu. Schnell peilt sie

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