Grenzfall (German Edition)
nicht angerufen, stimmt’s?«
Mattie überlegt. Es gibt keinen Grund, noch mal zu lügen. »Und du wärst nicht mitgekommen, stimmt’s?«
Er guckt nach vorn. Sie sind jetzt wieder auf der Hauptstraße. »Stimmt.«
Als er vor dem Hotel anhält, bleibt sie noch einen Moment sitzen. »Bist du sauer?«
Ein kurzer Blick, er holt seine Zigaretten raus, steckt sich eine an. Hält ihr die Schachtel hin. Mattie schüttelt den Kopf.
»Vorhin, als wir die Vollmachten ausgefüllt haben. Ştefan hat am Ende gesagt, dass seine Mutter schon ewig nicht mehr gelacht hat.« Er grinst.
Mattie klaut Georgel die Zigarette aus der Hand und nimmt einen tiefen Zug. »Und ausgerechnet über mich.«
Er stupst sie in die Seite. »Heute Abend musst du mit uns Schnaps trinken, bis du umkippst. Sonst kannst du nicht sagen, dass du in Rumänien warst.«
22. Juni 2012, Hansestadt Kollwitz
Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland
Nick sitzt in der Kantine der Staatsanwaltschaft Kollwitz, vor sich einen Teller mit Currywurst, Kartoffelbrei und schwarzen Bohnen. Das Tagesmenü in den Farben der deutschen Flagge, um die Nationalmannschaft zu unterstützen. Unter dem Tisch sitzt der Zwergspitz und bettelt.
»Jogi? Heißt du vielleicht Jogi?« Der Hund reagiert nicht. Nick hat schon einige Namen ausprobiert, keiner scheint ihm zu gefallen. Das Essen ist nicht schlecht für Kantinenfraß, doch die Farben gehen ihm auf den Geist. Entnervt schiebt er den Teller weg und holt seine Zigaretten aus der Jackentasche. Gut, dass Jasmin noch nicht gemerkt hat, dass er wieder raucht.
Draußen vor dem Eingang steht er mit anderen bleichgesichtigen Männern herum, die alle an ihren Zigaretten ziehen und auf den halb leeren Parkplatz starren. Der Spitz zerrt an seiner neuen Leine, die Nick ihm in einem Hunde-Discounter gekauft hat. Plus Fressnäpfe, Futter und ein Kissen, auf dem er schlafen kann.
Noch eine halbe Stunde.
Gestern Nacht kam zwar nicht Mattie, aber immerhin eine lange E-Mail. Im Anhang zwei gescannte Vollmachten. Außerdem ein Haufen Anweisungen an Nick, unter anderem, sich umgehend mit Volker und Bettina in Verbindung zu setzen und ihnen zu eröffnen, dass Mattie gar nicht krank ist. Großartig.
Die E-Mail klang ein bisschen wirr und endete mit den Worten: »Nick, die haben hier einen Schnaps aus den Weinlaubengängen, der kommt in Colaflaschen, weil er verboten ist. Musst du unbedingt probieren. Ich glaub, ich muss mal schlafen. Gute Nacht.«
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als morgens Halsschmerzen vorzutäuschen und Jasmin allein mit Azim auf Shoppingtour für Mexiko zu schicken. Als sie weg waren, ist Nick mit dem Hund ohne Namen zur Kanzlei gehetzt. Er hatte Glück, Volker war schon da. Der hörte sich die ganze Sache an und schlürfte dabei seine obligatorische Mate. »Kann ich nicht allein entscheiden.« Also wurde Bettina geholt, und Nick musste die Geschichte noch mal erzählen. Beim zweiten Mal hat Volker schon gegrinst, als er Matties Alleingang schilderte.
Die beiden Anwälte hatten eindeutig Interesse, vor allem als der angebliche Jagdunfall zur Sprache kam.
»Das stinkt«, konstatierte Volker, »und zwar gewaltig.«
Bettina knüpfte ihre Zustimmung an die Bedingung, dass Nick persönlich darüber berichtet. »So was muss man flankieren, und zwar von allen Seiten. Sonst können wir es gleich lassen. Wir brauchen deinen Namen.«
Nick konnte seine Freude kaum verbergen. Noch ein Mal. Einmal zeigen, was er kann, bevor er nach Mexiko verschwindet. Ein Zeichen setzen. Nikolaus Ostrowski ist wieder da.
Noch zwanzig Minuten. Er drückt die Zigarette in den überquellenden Standaschenbecher. Und jetzt? Jetzt hat er Lampenfieber. Nervös wie ein Erstklässler vor dem Interview mit einem Staatsanwalt. Dazu Volkers Geheimauftrag. Auf dem Weg von der Kanzlei zu seiner Car-Sharing-Station hat er die entscheidende Frage gestellt. »Wer war eigentlich der zweite Tote?«
Liviu, den sie auf dem Weg nach Kollwitz bei seinem Parkplatz aufgesammelt haben, konnte auch nicht weiterhelfen. Niemand aus dem Heim schien den Mann gekannt zu haben. Er stammte nicht aus Turnu Severin, so viel ist sicher. Sie haben damals gesammelt, um ihn heimzuschicken zu der Adresse, die die Polizei in seinem Ausweis gefunden hatte. Das Geld wurde von dem Mann der Pastorin zur Dienststelle gebracht.
Noch zehn Minuten.
Nick hat Glück, dass der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Kollwitz, ein Dr. jur. Schölling, sich überhaupt so kurzfristig zu einem
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