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Grenzfall (German Edition)

Grenzfall (German Edition)

Titel: Grenzfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kröger
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Interview bereit erklärt hat. »Ich erinnere mich gut an den Fall«, sagte er am Telefon auf Nicks Schilderung der Sache. »Das war, kurz nachdem ich hier angefangen habe. Kommen Sie um vierzehn Uhr in mein Büro.«
    Also sind Volker und Liviu weiter zur JVA gefahren, die außerhalb der Stadt liegt. Und Nick ist in dieser eintönigen Beamtenverwahranstalt gestrandet, wo das einzig Farbige das Essen in Schwarz-Rot-Gold ist.
    »Du musst hierbleiben«, erklärt er dem Hund und bindet ihn am Fahrradständer fest. »Lass dich nicht klauen.«
    »Bringen Sie den man rein hier, sonst brennt dem ja die Sonne das Gehirn wech«, ruft es aus der Pförtnerloge.
    »Na, du hast aber ein Glück«, flüstert Nick und bindet den Hund wieder los. »Hier werden Hunde besser behandelt als Menschen.«
    Fünf Minuten später sitzt er Herrn Doktor Schölling gegenüber. Etwa gleichaltrig. Ehering. Kleidung Ton in Ton mit der weißen Wand und dem grauen Schreibtisch. Gerahmte Kinderzeichnungen. Schölling sieht auf seine Armbanduhr. Sicher ein Erbstück. »Wir haben eine halbe Stunde«, sagt er und deutet auf ein paar dicke Aktenordner. »Sie haben Glück, dass die Akten noch nicht vernichtet sind. Was wollen Sie wissen?«
    Nicks Aufregung ist wie weggeblasen. Er schaltet sein Aufnahmegerät ein. »Lassen Sie uns mit dem damaligen Fall beginnen. Was haben die Ermittlungen vor Ort ergeben?«
    »Bevor ich Ihnen die Sachlage schildere, stellen Sie sich bitte vor, dass wir uns im Sommer 1992 befinden. Kurz nach der Wende. Logistisch war das hier eine Brachfläche. Wir hatten nicht mal funktionierende Telefonleitungen.«
    Das fängt ja gut an. Nick nimmt sich vor, die Anwälte auf mögliche Ermittlungspannen hinzuweisen. Volker hat recht. Der Fall stinkt.
    Betont emotionslos referiert Schölling die gesammelten Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft vor Prozessbeginn. Die Polizei wurde erst informiert, als am Morgen nach den tödlichen Schüssen das Feld brannte. Die anrückenden Einsatzkräfte fanden zwei hochgradig verbrannte Leichen und lauter Zivilisten auf dem Feld, die an einem Tatort nichts zu suchen haben. Erst als die Leichen gerichtsmedizinisch untersucht wurden, stellte sich heraus, dass sie durch ein Jagdgeschoss und nicht an Verbrennungen oder Rauchvergiftung gestorben waren. Der Jagdpächter wurde verhört, ebenso der Jagdgast. Beide machten von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch.
    »Sicher steht fest, dass beide Opfer durch eine einzige Kugel ums Leben kamen. Es handelt sich um ein sogenanntes Teilmantelgeschoss, das sich beim Auftreffen in viele kleine Geschosse teilt, um das Wild möglichst schmerzfrei zu töten.«
    Nick muss tief durchatmen. Diese Sprache. Der Mann redet ohne abzusetzen weiter. Druckreife Sätze. Die Staatsanwaltschaft habe derzeit nichts unversucht gelassen, um den Täter zu identifizieren. Im Endeffekt ließ sich die Munition jedoch keinem der beiden Angeklagten einwandfrei zuordnen. Und das deutsche Recht laute nun einmal dahingehend, dass niemand verurteilt wird, dem die Schuld an einem Verbrechen nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann.
    »Zwischen der Tat und dem Prozessbeginn liegen gut vier Jahre. Ist das nicht außergewöhnlich lange?«
    »Ich muss Sie nochmals auf die damalige Lage in den neuen Bundesländern hinweisen.« Der Mann lässt sich nicht aus der Reserve locken.
    »Wurden die Familien der Toten in Rumänien über die Anklageerhebung und den Prozessverlauf informiert?«
    Schölling blättert lange in den Akten.
    »Nein.«
    »Warum nicht? Hatten Sie keine Adressen?«
    »Die vollständigen Namen und Adressen der Opfer sind in den Akten vermerkt.« Er blättert ein paar Seiten zurück. »Hier. Leider darf ich Ihnen, wie Sie wissen, keinen Einblick in die Akten geben.«
    »Warum wurden sie nicht informiert?«
    »Wir haben es hier mit einem Tötungsdelikt zu tun, das in Deutschland von Deutschen begangen wurde. Die Familien der Opfer waren für die Ermittlungen und den Prozessverlauf zu keiner Zeit relevant.«
    Nick fühlt, wie die Ader auf seiner rechten Schläfe zu pochen beginnt. »Wenn die Opfer und ihre Familien Deutsche gewesen wären, hätte es dann nicht mit großer Wahrscheinlichkeit eine Nebenklage gegeben?«
    »Ja, das ist korrekt.«
    »Aber da die Familien in Rumänien waren, hat sie niemand darüber aufgeklärt?«
    »Das ist möglich. Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist es nicht.«
    »Finden Sie das nicht zynisch?« Nick hat Mühe, seine Gefühle im Zaum zu

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