Grenzfall (German Edition)
Versucht die Decke so um sich und die beiden Frauen zu wickeln, dass sie von allen Seiten gepolstert sind. »Haltet euch am Vordersitz fest!«
»Eins, zwei, eins, zwei!«
Ihm wird schlecht. Plötzlich kracht der Bus zurück auf alle vier Räder und bleibt stehen.
Stille.
»Ahhh!« Nick wirft sich zur Seite. Direkt an seinem Fenster ist ein Gesicht aufgetaucht. Kein Gesicht. Ein Kopf mit Hassmaske.
»Zigeuner, dies ist die letzte Warnung. Hier ist kein Platz für euch!«
»Verpiss dich, du Arsch!« Mattie haut von innen mit der Faust gegen die Scheibe.
Nick versucht sie zurückzuziehen. »Bist du verrückt? Das sind mindestens zwanzig Leute. Gegen die haben wir keine Chance!«
Sie brüllt einfach weiter. »Ihr macht mir keine Angst!«
»Wer sind die?« Das ist Nadina, auf Englisch.
Mattie kommt langsam wieder zu sich. »Scheiß-Faschisten!«, knurrt sie.
Sie sind weg.
Nadina verschwindet ohne ein weiteres Wort nach vorn.
Irgendwann müssen sie eingeschlafen sein. Als Nick das nächste Mal aufwacht, ist es hell. Vorsichtig schiebt er Matties Kopf von seinem Bauch und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann klettert er aus dem Bett.
Liviu ist schon draußen und begutachtet seine VW-Busse.
»Alles okay?« Nick spricht leise, um Mattie nicht zu wecken.
Liviu winkt und deutet hinter Nick. Er dreht sich um. Der rote Bus ist vollgesprüht mit Hakenkreuzen und Sprüchen von Anti-Antifa bis Zigeunerschnitzel.
Sie bearbeiten die Graffiti mit Terpentin aus Livius mobiler Autowerkstatt.
Eine Frau in einer roten Outdoorjacke kommt den Deich entlanggeradelt. »Oh nein«, stöhnt Mattie. »Nicht die schon wieder.« Sie verschwindet hinter dem Bus.
Die Frau steigt ab und schiebt ihr Fahrrad zu ihnen runter. Sie begrüßt Liviu mit Handschlag, geht weiter zu Nick und Nadina. »Gesine Matthiesen, ich bin Pastorin hier.«
Nick stellt sich vor, erklärt, wer Nadina ist und dass sie nur Englisch spricht.
»Wollen Sie zu Adriana?« Mattie ist auch wieder da.
»Nein, ich wollte zu Ihnen. Ihnen allen hier.« Sie spricht passables Englisch. Nadina übersetzt leise für Liviu, dessen Familie sich um die Pastorin versammelt.
»Woher wissen Sie, dass wir hier sind?« Nick hat Mattie selten so unfreundlich erlebt.
»Frau Junghans.« Die beiden kennen sich offensichtlich schon länger. »Ganz Kollwitz weiß inzwischen, dass Sie hier sind. Der Tod von Uwe Jahn und Adrianas Verhaftung bringen die Volksseele zum Kochen. Angeheizt von der NPD, die damit Wahlkampf betreibt. Und Sie gießen auch noch Öl ins Feuer. Ich halte das für gefährlich.« Sie deutet auf die Graffiti-Spuren auf dem Bus.
»Wir«, sagt Mattie und deutet in die Runde, »wir tun gar nichts. Oder ist es verboten, sich hier aufzuhalten?«
Nick findet es an der Zeit, ihr Schützenhilfe zu geben. »Frau Matthiesen, ich weiß Ihre Besorgnis wirklich zu schätzen. Aber als Journalist muss ich mich doch wundern, wie hier mit Drohungen umgegangen wird. Sie spielen denen ja in die Hände!«
Die Pastorin gibt sich nicht so schnell geschlagen. »Sie wollen Adriana doch helfen, oder sehe ich das falsch?«
Sie stellt die Frage noch mal auf Englisch an Liviu, der nickt. »Natürlich, wir wollen helfen.«
»Wenn Sie hierbleiben, helfen Sie ihr nicht. Es wird noch mehr Ärger geben, Kollwitz wird wieder in die Schlagzeilen geraten, und letztlich profitiert davon einzig und allein die NPD.«
»Sie wollen sagen, wir sind schuld, wenn die NPD die Wahlen gewinnt? Das ist ja wohl der Gipfel!« Mattie sieht aus, als wollte sie auf die Frau losgehen. Nick macht sich bereit, im Zweifelsfall dazwischenzuspringen.
»Wenn Sie die Verantwortung übernehmen wollen, bitte.« Die Pastorin wendet sich zum Gehen. Hinter ihr brennt die Luft.
»Haben Sie schon mal was von Kirchenasyl gehört? Ich erwarte, dass Sie hier Stellung beziehen!« Mattie kocht vor Wut.
Die Frau dreht sich um. »Also gut.« Sie sieht zu Nick. »Sie schreiben über den Fall?«
Er nickt.
»Und Sie, arbeiten Sie nun für Adrianas Anwalt oder nicht?«
Mattie atmet endlich mal wieder aus. »Ich arbeite für ihn.«
»Sie beide können mit Ihrem Bus hinter dem Pfarrhaus parken und das Gäste-WC benutzen. Der Hund bleibt bitte draußen.« Sie wechselt zurück ins Englische. »Ansonsten besitze ich ein Zimmer für eine Person. Mehr Leute kann ich nicht aufnehmen.«
Nadina übersetzt die letzten Sätze für Liviu und seine Familie ins Rumänische. Liviu ist aufgebracht.
»Er sagt, er kann seine Familie nicht
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