Grenzfall (German Edition)
ihr gesagt, dass du sie in den nächsten Tagen besuchst.«
Mattie nickt.
»Willst du wirklich in Kollwitz bleiben?«
»Hmm.«
Nick versucht in ihrem Gesicht zu lesen. Die hält doch mit irgendwas hinterm Berg.
»Okay, Nick, wir fahren.« Volker sieht nach oben. »Bevor hier gleich die Welt untergeht.«
Nick zögert.
Mattie steht mit verschränkten Armen da, als würde sie das alles nichts angehen.
»Würdest du auch allein …«
Volker grinst. Eindeutig zweideutig. Nick geht zum Kofferraum und holt seine Sachen raus. Er nimmt Quincy auf den Arm. »Guck mal, das ist Mattie.« Der Hund schnuppert skeptisch.
Volker hupt kurz und fährt los.
»Er heißt Quincy.«
»Blöder Name.« Sie steht immer noch da, macht keine Anstalten, ihm den Hund oder die Sachen abzunehmen. Er geht zum Bus und setzt Quincy rein.
»Dein Zuhause.« Geht zurück, nimmt die Tasche und den Hundekorb, packt beides nach hinten. Lässt sich auf den Beifahrersitz fallen. Mattie hat schon den Motor gestartet.
»Wo geht’s hin?«
Sie fährt los, ohne zu antworten. Es fängt an zu regnen. Die Scheibenwischer setzen sich quietschend in Bewegung. »Wie war’s in Kiel?«
Nick stellt seinen Sitz so, dass er fast waagerecht liegt, schließt die Augen. »Er hat mir ständig über die Schulter geguckt. Beim Wickeln. Beim Füttern. Immer hatte er irgendeinen blöden Tipp.«
»Kamal ist ein guter Vater.« Aha. Was sind denn das für Töne?
»Ich auch.« Er lässt die Augen geschlossen. »Wo fahren wir hin?«
Wieder keine Antwort. Wo kurvt sie bloß rum, der Bus ächzt und knarrt, als würde er gleich auseinanderfallen. Nick macht die Augen auf und erhascht im Vorbeifahren ein Schild. Unbewachter Wohnmobil-Parkplatz.
»Wie gemütlich. Übernachten im Matsch. Woodstock lebt.«
»Kannst du nicht mal die Klappe halten?« Mattie rollt langsam auf die Wiese.
Kaum stehen sie, reißt jemand die Fahrertür auf. »Mattie, wo warst du –« Eine junge Frau, braune Haare, Sommersprossen. Sie spricht Englisch. Jetzt sagt sie nichts mehr, sondern starrt ihn wütend an.
»Das ist Nick«, kommentiert Mattie. »Nick: Nadina.«
Die Tochter von Nicu. Was macht die denn hier? Hinter ihr tauchen mehrere Kindergesichter auf. Quincy springt mit einem Satz über Matties Schoß und stürzt nach draußen. Dem Gebell nach gibt’s da noch mehr von seiner Sorte.
Alles klar. Liviu. Seine Frau. Die Schwiegermutter. Der Schwager. Die Kinder. Er stöhnt.
»Kannst du uns kurz alleine lassen?« Das Mädchen verschwindet wortlos aus seinem Blickfeld. Die Fahrertür knallt zu.
»Sie wollen in Adrianas Nähe sein. Von hier aus kann man die JVA sehen.«
Dahinten, Guggenheim auf der Steilküste. »Ist ja toll, und was machen die den ganzen Tag? Demos vor dem Knast?«
Mattie haut aufs Lenkrad. »Verdammt, Nick! Sei nicht so selbstgerecht. Die machen, was sie immer tun. Scheiben putzen, Akkordeon spielen für die Badegäste. Liviu klappert die Schrottplätze in der Umgebung ab.«
»Das könnte Ärger geben.«
»Ich weiß. Aber ich kann ihnen doch nicht verbieten, hier zu sein. Deswegen wollte ich, dass du mitkommst.«
Ach deswegen. Er gähnt. »Ich kann mich ja schon mal hinhauen. Geh nur zu deinen neuen Freunden.« Er klappt den Sitz wieder runter.
»Nick!«
»Hmmm.«
»Wir müssen in einem Bett schlafen. Ich hab Nadina angeboten, dass sie hier vorn – die sind drüben schon zu siebt in den zwei Bussen.«
Endlich alleine. Nick klettert nach hinten und legt sich in Klamotten aufs Bett.
Als er aufwacht, ist es dunkel draußen. Er tastet nach Jasmin, vorsichtig, um Azim nicht zu wecken, der nach dem Stillen meistens zwischen ihnen schläft. Seine Hand greift in Fell. Das Fell vibriert. Quincy knurrt.
»Nick, hörst du das auch?« Das ist Mattie.
Gott sei Dank hat er schon geschlafen, als sie ins Bett kam. Er stellt sich vor, wie es wäre, wenn er jetzt einfach seine Hand ausstreckt und ihren Bauch –
»Nick! Jemand schleicht um den Bus!« Quincy bellt.
Nick schiebt vorsichtig die Gardine zur Seite. »Da sind Leute mit Taschenlampen! Hast du abgeschlossen?«
»Ich glaub schon.« In dem Moment fängt der Boden an zu wackeln. Eine Hand greift nach seinem Arm. »Scheiße! Die wollen die Busse kippen!«
»Nadina!«
Sie ist schon bei ihnen auf dem Bett.
Stimmen, die zählen: »Eins, zwei, eins, zwei.« Der Bus wackelt stärker. Es müssen viele sein. Und sie wollen, dass man das merkt.
Er stellt sich darauf ein, dass gleich alles durch die Gegend fliegen wird.
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