Grenzgang
Blattläuse achten.« Sie zuckt mit den Schultern.
»Ich hab kein Talent dafür. Vor einigen Jahren hatten wir diesen Rosenstock, prächtiges Gewächs, blühte ganz von selbst. Irgendwann habe ich beschlossen, mich drum zu kümmern, ihn zu schneiden, zurückzubinden, und binnen zwei Jahren war’s nur noch ein kümmerliches Etwas, hatte kaum noch Blüten.«
»Das kommt vor. Aber bei Rosen gibt’s ein altes Hausmittel: Kaffeesatz. Fragen Sie mich nicht warum, aber es hilft. Ich gebe immer, was im Filter bleibt, unten aufs Beet.«
»Es ist ein Beispiel von vielen. In meinem Garten wächst nur, was von alleine wächst. Unter meinen Händen …« Frau Preiss sieht auf die eigenen Handflächen, als stünde die Erklärung dort. »Wahrscheinlich hab ich schlechtes Karma.«
Ihre Blicke begegnen sich über der Gangschaltung. Jetzt, wo die Sonne auf ihr Gesicht fällt, zeigen sich die Falten in Frau Preiss’ Augenwinkeln auch, wenn sie nicht lacht. Für einen Moment sieht ihr Gesicht aus wie Porzellan, dann sagt sie:
»War nur ein Witz. Ich glaub nicht an Karma. Ich lese nicht mal mein Horoskop.«
»Ich schneide Ihnen was ab von dem Flieder auf der Terrasse. Zwei Minuten.« Kerstin öffnet die Tür, bevor Frau Preiss sie am Arm fassen und zurückhalten kann. Ihr Rücken, ihr Hintern sind noch warm vom aufgeheizten Sitz. Erst im Schatten desVordaches dreht sie sich noch einmal kurz herum, während eine Hand im Korb nach dem Schlüssel sucht.
»Zwei Minuten.«
Frau Preiss nickt.
In der Diele hängt Dämmerlicht. Ihre Mutter hat nicht nur die Terrassentür geschlossen, sondern auch die Vorhänge zugezogen, als ob die Maisonne ein Feind wäre, den es sich vom Hals zu halten gilt. Kerstin stellt ihren Korb auf den Esstisch neben die Veilchen und öffnet die Tür. Der Garten ist voller Sonne jetzt, sie fällt nicht mehr durch die Bäume, sondern steht hoch über dem Tal und verströmt weißes Licht. Vom Geruch des nächtlichen Regens ist nichts geblieben. Sie wird den Gartenschlauch anschließen und gießen müssen.
Auf der Fensterbank des Wohnzimmers, außen, liegt eine Gartenschere.
Sie hört Schritte im Zimmer ihrer Mutter und kurz darauf die Tür. Schmetterlinge fliegen auf, als sie einen Ast des Flieders zurückbiegt und die Schere ansetzt.
»Du bist’s. Ich dacht schon, es wären wieder Fremde im Haus.«
Mit geschlossenen Augen atmet sie den Duft des Flieders, das Süße, das aus den trichterförmigen Blüten wabert und die Sonne warm über der Terrasse verteilt hat. Ja, sagt sie, ohne die Lippen zu bewegen. Ja, ja, ja. Vorsichtig legt sie den abgeschnittenen Ast auf den Terrassenboden.
»Ich hab mein Bett gemacht, ja. Man weiß nie.«
»Gut.«
»Und die Türen stehen offen wie bei den Zigeunern.«
»Ich muss noch mal raus, will nur kurz ein paar Blüten abschneiden.« Sie nimmt den nächsten Ast und denkt, dass es nicht die unterschwelligen Vorwürfe in den Worten ihrer Mutter, sondern ihre eigenen Entschuldigungen sind, worüber sie sich ärgert. Sie hat das Recht, ihre Türen offen stehen zu lassen bis zum Sankt-Nimmerleinstag. Und sie hat große Lust,diesen Montag, ihren Geburtstag, zum Tag der offenen Tür zu erklären. Da sieht man wenigstens, wenn jemand Blumen bringt.
»Da steht jemand.«
»Da sitzt Frau Preiss in ihrem Auto und wartet, bis ich ihr den Flieder rausbringe.«
»Da steht jemand.«
Sie legt den zweiten Ast auf den Boden und richtet sich auf. Ihre Mutter blickt durch Diele und Haustür Richtung Straße, wo Frau Preiss ausgestiegen ist und sich über den Zaun beugt, um an dem Fliederstrauch zu riechen. Sie winkt und macht einen Schritt Richtung Gartentor.
»Augenblick noch«, ruft Kerstin, unschlüssig, ob sie Frau Preiss hereinbitten soll, einen prüfenden Blick auf ihre Mutter werfend, die das Winken nicht bemerkt zu haben scheint und immer gut ist für die plötzliche Aufforderung, die Polizei zu rufen.
»Frau Preiss hat eine Tochter, die in Daniels Klasse geht.«
»Prima. Hast du meine Haftcreme mitgebracht?«
»Du hast nicht gesagt, dass du welche brauchst.«
»Sonst hält die Prothese nicht, ja.«
Sie geht zurück auf die Terrasse, beeilt sich mit den restlichen Ästen und kommt schließlich mit einem Strauß zurück, der ihr selbst übertrieben groß erscheint. Er lässt sich kaum mit einer Hand fassen.
Frau Preiss lehnt mit dem Steiß gegen ihren Wagen, beide Arme auf die Türen gestützt und hält ihr Gesicht in die Sonne. Noch immer säuselt leise Musik aus den Boxen,
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