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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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das mit den Pilzen war.

2
    »Ich schätze, das war’s dann.« Er stand in der Tür und blickte in den Raum zurück wie auf ein Foto aus vergangenen Zeiten: Ein helles Zimmer mit Regalen an den Seitenwänden und zwei Schreibtischen in der Mitte, die eine einzige quadratische Fläche bildeten. Am Anfang hatte er es merkwürdig gefunden, seinem Kollegen gegenüberzusitzen und beim Aufblicken seiner konzentrierten Miene zu begegnen oder seine Finger über die Tastatur fliegen zu sehen, wenn Kamphaus schrieb. Schnell, präzise, fehlerlos. Sie hatten überlegt, die Schreibtische anders zu stellen und sich die Rücken zuzukehren bei der Arbeit. Das heißt, von ihm war der Vorschlag gekommen, und Kamphaus hatte die Schultern gezuckt und gesagt: Wie du willst. Dessen Konzentration war unzerstörbar, immer schon gewesen. Der brauchte, wenn man ihn ansprach, zwei Sekunden für den Weg zurück in die Wirklichkeit. Auch jetzt blickte er auf und sah sich um, nickte und schien erst in diesem Moment zu registrieren, dass die rechte Seite des Büros leergeräumt war und nur noch ein Karton auf dem Schreibtisch stand, die Tastatur, der Bildschirm, das Telefon. Sonst nichts mehr. Was im Regal noch an Büchern lag, war bereits Altpapier. Restmüll. Und natürlich hatte Wilkens schon ein paar eigene Sachen hergebracht und auf die freien Regalböden gestellt.
    Die Tische jedenfalls waren dann doch immer so stehen geblieben.
    »… ja«, sagte Kamphaus mit einem Anflug von Unbehagen, nahm die Brille ab und massierte sich mit zwei Fingern die Nasenwurzel. Der wollte die letzten Minuten mit Anstand hinter sich bringen und dann in Ruhe weiterarbeiten. »Ist Schlegelberger denn überhaupt da?«
    Wie ein Wal mit offenem Maul war dieser Tag auf ihn zugeschwommen, über Wochen und Monate, aber jetzt hatte ernicht das Gefühl, verschluckt worden zu sein, sondern auf offener See zu treiben, den Himmel zu sehen und die Wut zu vermissen, die zu empfinden nur natürlich wäre in seiner Situation. Warum war er nicht wütend, und was war er stattdessen?
    »Tut mir leid, dass ich deinen Habil-Vortrag verpasse«, sagte er, ohne auf die Frage zu antworten. Die Tür des Alten war zu, und er würde nicht klopfen, sondern einfach verschwinden auf Nimmerwiedersehen.
    Kamphaus winkte ab.
    »Werden doch bloß olle Kamellen.«
    Weidmanns Hand in der Hosentasche spielte mit dem Schlüssel. Sein Blick ging durch den Raum, auf der Suche nach etwas, das sich jetzt zertrümmern ließe mit einer letzten dramatischen, lächerlichen Geste: keinem Aufbegehren, nicht mal einem Abreagieren, sondern dem Versuch, Wut in sich zu schüren durch einen künstlichen Ausbruch. ›Olle Kamellen‹ sagte Kamphaus gerne über seine Arbeit. Weidmanns Blick fiel auf die großen Fenster und die beiden Pflanzen davor, die Konstanze mitgebracht hatte zur Einweihung des neuen Instituts. Dahinter ein gleichgültiger Hochsommerhimmel, in den Baukräne ragten. Die Goldkuppel der Synagoge glänzte in der Sonne.
    Kamphaus konnte nichts dafür. Der war brillant und obendrein kollegial, der hatte es nicht nötig, die Arbeit seiner Kollegen schlechtzumachen. Nicht mal ein Karrierist war er, kein einsamer Bücherwurm mit bleicher Haut, sondern der Ehemann einer sympathischen, gutaussehenden Frau und Vater einer dreijährigen Tochter. Bevorzugte legere Jacketts und spanische Weine. Einer, der am Wochenende mit der Tochter in den Zoo ging, während andere sich die Rücken krumm saßen in der Bibliothek. Kamphaus zeichnete sich eben durch die Begabung aus, mit Kind auf dem Arm einen Affenfelsen betrachten und dabei denken zu können, dass die Quellen mehr hergaben, als er bisher daraus gemacht hatte. Dass ein vor sechs Jahren gelesener Aufsatz genau den Hinweis enthielt, der ihm helfen würde, seine Darstellung argumentativ abzurunden. Ein ›Kamphaus‹ war inder Geheimsprache des Instituts ein Einfall, auf den sonst keiner gekommen wäre. Der Funken Genialität, den weder Fleiß noch Leidenschaft ersetzen können. Und lustig, wie die Affen sich gegenseitig das Fell kämmten mit spitzen Fingern und sich in den Mund steckten, was sie fanden. Was für rote Hintern die hatten! Da lachte die Tochter, und er lachte mit ihr, denn gerade fiel es ihm ein: Den Aufsatz hatte er sogar noch, der stand ganz oben im Regal, im dritten Ordner links.
    Und ein ›Weidmann‹, dachte Weidmann und hätte beinahe ebenfalls angefangen zu lachen, war ein ›Kamphaus‹, auf den besser nie jemand gekommen

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