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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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nehm ihn.« Tatsächlich streckt Frau Preiss beide Hände aus und nimmt das welke Bündel in Empfang. Legt es in ihren Bastkorb, lächelt Kerstin zu und geht weiter zu den Getränken. Ihr teures Parfüm weht wie ein Schleier hinter ihr her.
    Vor der Scheidung hat es einmal einen Abend zu viert gegeben, jedenfalls steht Kerstin dieses Bild vor Augen, Herr und Frau Preiss nebeneinander, sein damals schon fast kahler, eckiger Schädel und das feine, zerbrechliche Gesicht seiner Frau. Und ihr Eindruck, dass sie trotzdem zueinander passen, ein Gefühl von Harmonie vermitteln, ganz ungezwungen. Er hat versucht, einen Witz zu erzählen, und sie, ihn daran zu hindern, und irgendwas daran hat ihr gefallen. Du kriegst doch eins mit dem Besen nachher. Oder so ähnlich. Den Witz hat Herr Preiss trotzdem erzählt, aber an den erinnert sie sich nicht.
    Erst als sie sich vor der Kühltheke erneut begegnen, hat sie Gelegenheit, noch einmal auf den Broccoli zurückzukommen:
    »Sie wollen den nicht wirklich kaufen.«
    »Jetzt liegt er in meinem Korb, jetzt nehm ich ihn auch mit.«
    »Sie müssen wenigstens verlangen, dass Sie ihn zum halben Preis bekommen.«
    Frau Preiss’ Blick hat an den Rändern etwas von seinem Lächeln eingebüßt und gibt Kerstin zu verstehen, dass die Gattin des Inhabers von Preiss Damenunterwäsche & Dessous an einer Supermarktkasse nicht um Rabatt bittet.
    »Aus Prinzip«, sagt sie schnell.
    Frau Preiss zuckt die Schultern.
    »Wie geht’s Ihrem Sohn? Linda sagt, dass die Lehrer inzwischen regelrecht Angst vor ihm haben, wenn es um Mathe und Physik geht.«
    Im Restaurant oben im Schloss haben sie gesessen, jetzt fällt es ihr ein. Vor sieben Jahren? Vor acht? Vor zehn?
    »Das sind so seine Hobbys. Bisschen ungewöhnlich wahrscheinlich in dem Alter.«
    »Glauben Sie’s mir: Besser als alles, was in dem Alter nicht ungewöhnlich ist.« Frau Preiss’ Lächeln ist wieder vollständig. Ihr Solariumsteint lässt das Goldkettchen in ihrem Halsausschnitt ebenso hervortreten wie die kleinen Fältchen, die sich dort eingenistet haben, und am liebsten würde Kerstin einfach aussprechen, was ihr durch den Kopf schießt: In unserem Alter, nicht wahr, ist gutes Aussehen irgendwie ein Balanceakt – und dass sie beide ihn eigentlich ganz gut meistern.
    Sie sagt es aber nicht, und so gerät das Gespräch wieder ins Stocken. Kerstin fühlt die Luft aus dem Kühlregal um ihre nackten Waden streichen. Frau Preiss’ letzte Bemerkung kommt ihr vor wie das Öffnen einer Tür, und sie weiß selbst nicht, warum sie darauf schließlich mit einem Blick auf die Uhr reagiert.
    »Tja, dann …«
    »Der halbe Vormittag um und zu Hause noch nichts geschafft.«
    Einander zunickend nehmen sie verschiedene Wege Richtung Kasse, Kerstin entscheidet sich für Pilze aus dem Glas, kauft drei Hühnerbrustfilets und bummelt am Zeitschriftenregal entlang, auf der Suche nach etwas für Frauen, was auch ihre Mutter lesen kann.
    Sobald um Viertel nach zehn die ersten Berufsschüler den Markt betreten, nehmen König, der Sohn, und seine Mitarbeiterinnen die strategisch wichtigen Stellen ein und überwachen die Regale mit Salzgebäck, Süßigkeiten und Getränken, denn Videokameras gibt es bei König’s nicht. Kerstin stellt ihre Waren aufs Band: Einkäufe wie damals zu Studentenzeiten, nur das Nötigste für die nächsten Tage, das sich in zwei Händen nach Hause tragen lässt. Sie zahlt und beobachtet aus den Augenwinkeln die Waren-Armada, die aus Frau Preiss’ Korb heraus- und auf dem Band vorrückt, angeführt von zwei Sektflaschen, abgeschlossen von diesem jämmerlichen Broccoli.
    Sekt, denkt sie, hätte sie sich zu ihrem Geburtstag eigentlich auch gönnen können.
    »Dann auf Wiedersehen.« Sie tritt hinaus auf den Parkstreifen, wo die Schüler jetzt in Gruppen stehen, rauchen und Cola trinken und einer feixend so tut, als würde er seine aufgerauchte Zigarette in Frau Preiss’ Cabrio werfen. Kerstin legt ihr Portemonnaie in den Korb und steht einen Moment still, als hätte sie ihren Rückweg vergessen. In einer der Schülergruppen explodiert eine Lachsalve. Die Sonne scheint vom Schlossberg herunter, ein Licht, das die bewaldeten Hänge herabrollt und sich in den Straßen ausbreitet, und am liebsten würde Kerstin jetzt so wie auf der Terrasse die Augen schließen und die Wärme genießen. Sie freut sich auf den Nachmittag im Garten, mit oder ohne Daniel.
    Als sie die Tür hinter sich hört, nimmt sie den Korb in die andere Hand, sieht nach

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