Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
Vom Netzwerk:
nichts mehr für, es gab jeden Tag andere), das von heute am T-Shirt. Der Walfisch von den Rheinstraßen-Burschen. Der war eigentlich zu schwer fürs T-Shirt, also nahm er ihn ab und steckte ihn sich erst an die Hose, dann an die Socke, dann an den Schnürsenkel, und dann machte es »Buh!« hinter ihm, und der Walfisch wäre ihm fast ins Glas gefallen.
    Linda hockte sich neben ihn ins Gras. Hockte auf den Fersen, legte die Arme auf die Knie und das Kinn auf die Arme und sagte:
    »Erschrocken?« Sie roch wieder nach Kaugummi, obwohl sie keins kaute.
    »Nein.«
    »Doch. Du hast so gemacht.« Sie zog die Schultern zusammen und den Kopf ein.
    »Und wo bist du gewesen?«
    »Im Wald, pinkeln.«
    Er sah sich nach Nobs um, aber der war nicht zu sehen. Der ganze Platz war voll; ein kleinerer Platz als auf der Sackpfeife und leicht schräg, so dass er am unteren Ende über die Bäume gucken konnte auf die anderen Bäume, den Wald und noch mehr Wald, ohne Ende. Bergenstadt musste in der anderen Richtung liegen.
    »Darf ich was von deiner Cola?«
    Er wusste nicht, wie er nein sagen sollte, also sagte er gar nichts und gab ihr das Glas.
    Sie hatte keine Kette mehr um, aber eins von diesen geflochtenen Bändern am Handgelenk, das jetzt alle Mädchen in der Klasse trugen. Die Sonne schien, und es schmerzte ein bisschen in den Augen, so über den Platz zu gucken.
    Linda gab ihm das Glas zurück, und er trank neben ihrem Abdruck, genau daneben.
    »Deine Mama winkt«, sagte sie.
    »Ich seh sie nicht.« Das stimmte. Er wusste zwar, wo sie saß, aber er sah nicht hin, und drum sah er sie auch nicht.
    Linda zeigte mit dem Arm in die Richtung.
    Er suchte auf dem Boden nach dem Walfisch. Ein paar Ameisen krabbelten über die Blätter, und es war komisch sich vorzustellen, dass für eine Ameise ein Blatt so groß ist wie ein Haus. Und der Wal-Anhänger so groß wie für ihn ein echter Wal. Und was für ein Wesen das wäre, für das ein echter Wal so klein ist wie für ihn der Anhänger. Als er noch kleiner war, hatte er geglaubt, dass es das gibt und im Wald wohnt. Am Hainköppel, hinter der Biegung.
    »Direkt vor uns«, sagte Linda. »Auf der Bank. Da!«
    Er spürte ihren Blick an der Seite, nahm den Walfisch und hauchte auf das silbrige Metall.
    »Und?«, fragte er.
    »Jetzt guckt sie wieder weg. Oh nein, und jetzt steht mein Papa auf dem Fass!«
    Er sah auf und sah Herrn Preiss da stehen, wo vorher sein Vater gestanden hatte. Die wechselten sich immer ab, kein Grund, so’n Aufstand zu machen.
    »Muss er doch als Führer.«
    »Ich mag’s aber nicht, wenn er da steht und brüllt.«
    Jetzt sah er sie von der Seite an, und Linda guckte woanders hin. Er hörte die Hochrufe und die Musik, aber für einen Moment sah er nur die Sommersprossen auf ihrer Nase und diekurzen Haare vor den Ohren, die nicht mehr in den Zopf gepasst hatten. Fast weiß. Sie trug einen Ohrring und sah ängstlich aus, und vielleicht sagte er deshalb:
    »Das war doof von Nobs vorgestern, wir hätten eigentlich noch jemanden gebrauchen können.«
    »Hättet ihr euch mal früher überlegen müssen.«
    »Ja.« Den nächsten Schluck trank er genau da, wo ihr Abdruck war, und er trank alles aus. Herr Preiss schwang den Säbel in die Luft, und man sah, dass er gerade erst angefangen hatte. Am Ende machten sie nur noch, als würden sie mit dem Taschentuch winken.
    Sein Vater stand neben der Fahne und trank Bier und sah sich um. Fächelte sich Luft zu mit der Hutkrempe.
    »Wo gibt’s den Walfisch?«, fragte Linda.
    »Bei der Rheinstraße. Bei den Burschen.«
    »Den will ich auch.«
    Sie hatte selbst schon eine Menge Abzeichen am T-Shirt und um den Hals, aber den Wal nicht.
    »Geh unter die Fahne bei denen.«
    »Wo?«
    »Da.« Er zeigte mit dem Arm in die Richtung, aber nicht ganz genau, sonst hätte er zu seiner Mutter gezeigt.
    »Seh nix«, sagte Linda.
    Als er aufstand und losging, wusste er, dass sie hinter ihm herkam, weil sie wusste, dass er zu den Rheinstraßen-Burschen ging, obwohl er den Wal schon hatte. Er tat aber so, als wüsste er’s nicht. Und den Wal steckte er in die Tasche. Ohne die Hand auf den Boden zu stützen, kletterte er die Böschung runter und hörte Linda rutschen. Das Glas stellte er zurück auf die Theke. Es war warm zwischen den Leuten. Die Musik flog so über den Platz, verschiedene Musiken aus verschiedenen Richtungen, und als es eng wurde und er schieben musste, war Linda genau hinter ihm. Einmal hielt sie ihn am Arm. Er ging ein bisschen

Weitere Kostenlose Bücher