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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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zickzack, immer dahin, wo am wenigsten Platz war. Auf dem Boden lagen Zigaretten und Servietten, und die Leute rochennach Würstchen und Bier. Dann blieb er ganz plötzlich stehen, und Linda lief gegen ihn.
    »Tierisch eng hier«, sagte er.
    Sie gingen durch Schatten und Sonne, und einmal guckte er hinter sich, ob Linda noch da war. Dann kamen sie bei den Rheinstraßen-Burschen an, wo immer das meiste Gedränge herrschte, weil alle den Walfisch wollten. Hier war nur Schatten, aber er wusste, wo sie sich anstellen mussten.
    »Hast du Geld?«
    Sie schüttelte ihren Brustbeutel und nickte. Seine Ohren waren warm, und er wollte gar nicht, dass sie drankamen. Nur so stehen und warten. Vor ihnen flog eine Frau in die Luft und kreischte, und überall wurde gelacht. Um sie herum waren alle viel größer. Er hätte gerne denselben Schulweg gehabt wie sie. Davon hatte er manchmal geträumt vor dem Schlafen, dann führte der Schulweg aber nicht den Kornacker runter wie ihrer oder die Rheinstraße entlang wie seiner, sondern irgendwo hinten die Lahn entlang. Wo die Sonne schien. Nicht dass er drauf geachtet hätte, aber in ihren Haaren sah er’s, so wie oben auf der Böschung. Sonne. Ein bisschen tat es weh in den Augen, aber man konnte ja blinzeln.
    Dann war niemand mehr vor ihnen, und er fasste Linda an den Schultern, schob sie nach vorne und sagte:
    »Bis gleich.«
    »Wehe, du rennst einfach weg.«
    Die Burschen vom Stemmkommando waren alle riesengroß und schwitzten, und einer sagte: »Endlich ma was Handliches.« Er sah sie nur bis zu den Gürteln, bis wohin Linda ihnen reichte, als sie nach vorne ging. Sie stellte sich in die Mitte und sah den Führer an, der sich auf seinem Fass nach unten beugte. Es war weder laut noch leise rings umher, und Linda sagte langsam und deutlich: »Linda Preiss.«
    Sie stand schon so, wie man stehen musste, ganz steif und mit den Armen vor dem Körper, denn wenn man sie nach oben nahm, waren sie in der Luft plötzlich hinten, und dann bestandSalto-Gefahr. Nur ihren Brustbeutel steckte sie sich vorher noch unters T-Shirt.
    »Dem dritten Führer Preiss seine Linda is bei uns unner der Fahne«, rief der auf dem Fass so laut, als müsste der ganze Frühstücksplatz jetzt hergucken.
    Und Linda sagte:
    »So hoch wie’s geht, bitte.« Dann blies sie die Backen auf und lies sich einfach nach hinten fallen und lag auf den Armen wie bei den Feuerübungen in der Schule, wenn einer den Schwerverletzten auf der Trage spielen darf. Zwei vom Stemmkommando fassten gar nicht mit an, weil nicht viel zu fassen war.
    »Die Linda Preiss, sie lebe …!«
    Dann flog sie – »hoch!« Höher als er vorher jemanden hatte fliegen sehen. Ihr Fuß berührte den Stoff der Fahne. Ihre Haare flogen, und die Abzeichen um ihren Hals flogen, und der Brustbeutel unter ihrem T-Shirt flog auch. Und als sie ganz oben war, hörte er sie lachen.
    Er wusste jetzt, dass er verknallt war. Vielleicht hatte er’s schon vorher gewusst, aber es fühlte sich anders an als erwartet. In der Schule war immer jemand verknallt, und er hatte geglaubt, das ist wie einen Pickel auf der Nase oder den Hosenstall offen zu haben: Alle zeigen drauf und lachen. Aber jetzt sah niemand ihn an, und die, die lachten, lachten nicht über ihn. Verknallt sein war wie fliegen. Es war eigentlich das Beste überhaupt.
    Linda war so lange in der Luft, dass einer vom Stemmkommando sich am Kopf kratzen konnte zwischendurch. Er beschloss, eine Cola für sich und eine für sie zu kaufen von dem Geld, das er noch hatte. Vielleicht konnte er ihr helfen, den Walfisch irgendwo festzumachen, so wie Männer Frauen mit der Halskette helfen. Es war gerade erst Mittag, sie würden stundenlang zurücklaufen nach Bergenstadt und am Abend auf den Rummelplatz gehen. Und morgen noch einmal!
    Dann kam sie zum dritten Mal runter und klopfte sich auf die Brust, als hätte sie Husten, und sagte:
    »Ich hab dir die Zunge rausgestreckt, und du hast nicht geguckt.«
    Er ging ihr entgegen, und jetzt war es doch ein bisschen so, als hätte er einen Pickel auf der Nase. Er hielt den Walfisch fest in seiner Hosentasche. Sie standen zwischen den Großen, und Linda lachte, als hätte sie oben in der Luft einen guten Witz gehört. Dann sagte jemand:
    »Dich hatt’n wir doch heute schomma hier.«
    Er sah sich um, und alle sahen ihn an. Linda machte an ihrem Zopf rum. Der Führer auf seinem Fass hatte einen Bart und nickte von oben auf ihn herab, ohne sich runterzubeugen, und plötzlich war

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