Grenzlande 1: Die Verpflichtung (German Edition)
weggelaufen?«, wollte Javes wissen.
»Ich hatte Angst.«
»Wovor, Leutnant?«, erkundigte sich Suiden.
»Dass ich bei lebendigem Leib aufgefressen würde.« Ich riss meinen Verstand von der Mahlzeit im Baum los und merkte, dass ich zu den Türen zum Hof gegangen war. Ich drehte mich zu den Hauptleuten herum und fühlte, wie meine Lippen zitterten, als ich mich an ein Drama erinnerte, das ich einmal auf offener Straße gesehen hatte. »Oh, er ist kein Schwarzer Magier oder ein Fürchterich. Er hat auch nicht vor, die Welt zu erobern, indem er die Tore zur Unterwelt öffnet und uns mit seinen dämonischen Bütteln überschwemmt.« Ich hielt inne. »Aber er trachtet auch nicht gerade danach, den Himmel auf Erden zu schaffen.«
»Wonach trachtet er dann?«, erkundigte sich Javes.
»Nach seinem eigenen Vorteil.«
Einen Moment herrschte Stille, bis Hauptmann Suiden einen Stuhl an den Tisch zog. »Setzen Sie sich, Hase. Sie sehen aus, als würden Sie gleich umfallen.« Er setzte sich wieder und legte die Blätter auf den Tisch.
Javes hob sie hoch. »Sie sind also ein entlaufener Zauberlehrling, der seine volle Macht entwickelt, was immer das heißen mag.« Er hielt inne. »Was heißt es?«
Ich warf einen Blick auf meine Hände. »Es gibt die, welche mit der Gabe geboren wurden …«
»Sie meinen Magie?«, fragte Javes dazwischen.
»Nein, Sir«, antwortete ich. »Das heißt, die ganzen Grenzlande sind voll von dem, was Sie ›Magie‹ nennen.« Ich musste unwillkürlich lächeln. »Nehmen Sie zum Beispiel unseren Ehrenwerten Laurel. Er ist ein Berglöwe, der reden kann und auf zwei Beinen geht. Und einen großen Stab mit sich herumschleppt.« Mein Lächeln erstarb. »Aber es gibt einige, die eine … eine Kraft formen können …«
»Hexerei«, sagte Suiden, der mich eindringlich beobachtete. »Sie können die Elemente herbeirufen und ihnen befehlen.«
Ich nickte. »Ja, Sir. Letzten Endes. Es kostet jedoch Jahre des Studiums, bis man dorthin gelangt.«
»Und genau das passiert Ihnen jetzt«, meinte Javes. »Wieso?«
Ich blickte wieder aus dem Fenster, konnte aber nichts in dem Baum erkennen. »Zweimal im Leben eines Magiers gewinnt sein Talent die Oberhand. Einmal in der späten Kindheit, wenn es sich zum ersten Mal manifestiert, und dann kurz vor dem Beginn des Erwachsenenlebens, wenn die Aspekte des Magiers deutlich werden.« Ich erinnerte mich an die Bestürzung meiner Familie, als ich, nachdem ich von einem plötzlichen Fieber genesen war, in einen Raum trat, die Dinge von den Regalen flogen und das Kaminfeuer sich selbst entzündete. Dann tauchte Magier Kareste auf und versprach ihnen, mich zu lehren, wie ich mein aufblühendes, wachsendes Talent kontrollieren könnte. Das tat er auch. Aber er lehrte mich auch Furcht.
»Aspekte?« Javes zog die Brauen zusammen.
»Luft, Wasser, Feuer und Erde«, meinte Suiden. »Ist das gestern passiert, Hase? Ihr Aspekt hat sich manifestiert?«
Ich erinnerte mich an das Tosen des Windes, obwohl die Bäume vollkommen regungslos dastanden. »Zum Teil«, gab ich zu.
»Zum Teil?«
Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. »Ich glaube, mein Meister hat mich gefunden.«
»Und?«
»Ich habe ihn wohl erneut zurückgeschlagen.«
»Der Donnerschlag«, meinte Suiden.
Ich nickte und starrte zu Boden.
Die Hauptleute schwiegen.
»Sie sehen höllisch mies aus, Leutnant Hase«, meinte Suiden schließlich, »aber wir halten es für gut, wenn Sie ein wenig hinauskommen. Also werden Sie diesen Einkaufsbummel mitmachen.«
Ich hob den Kopf.
»Sie werden immer in meiner unmittelbaren Nähe bleiben«, sagte Javes. »Sie schlendern nicht herum, ganz gleich, wie hübsch die Klamotten in den Schaufenstern sind, klar?«
Ich nickte erneut, und Hauptmann Javes legte die beiden Mentha-Blätter wieder auf den Tisch zurück.
»Sie sagen, dass der Faena nichts mit all den Merkwürdigkeiten zu tun hat, die sich zutragen«, meinte Suiden. »Das mag stimmen, aber es ist schon ein großer Zufall, dass es angefangen hat, als er auftauchte, und ich meine damit auch das, was mit Ihnen passiert.« Er verstummte kurz. »Und Lord oder nicht, Magier-Frischling oder nicht, entlaufener Zauberlehrling oder nicht, Pakt und Federn, Schmuggel und Kriegsdrohungen hin und her, Sie stehen immer noch unter meinem Kommando. Ist das klar?«
»Sir, jawohl, Sir.«
24
Suiden befahl, dass Jeff Javes ebenfalls begleiten sollte, und schickte uns zurück auf unsere Stube, wo unsere neuen
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