Grenzlande 2: Die Königstreuen (German Edition)
Thadro hinter Jusson und achtete wie Thadro nur auf die Schauspielerin. »Habt Ihr jemanden ermordet, Ältester Dyfrig?« fragte er, ohne sich umzudrehen. Er klang eher neugierig als verurteilend.
»Nein.« Dyfrig schüttelte den Kopf, und seine Stimme brach. »Meine Sünde war die der Unterlassung...«
»Unterlassung!«, unterbrach Rosea ihn. »War es Unterlassung, sich von einer Hand abzuwenden, die um Hilfe bat?«
»Ihr habt zugesehen, wie jemand ermordet wurde, und habt nichts getan?«, fragte ich ungläubig. Ich fühlte, wie Dyfrigs Arm zuckte.
»Oh ja, mein kleiner Hase«, meinte Rosea. »Nur, war es irgendjemand? Das ist die Frage, hm?«
Ich grub meine Finger in Dyfrigs Arm. »Einer vom Volk war hier? Im Tal?«
»In den Bergen«, sagte Rosea. »Ein altes Versteck aus der Zeit, zu der sie noch frei umherstreiften.« Sie machte einen Tanzschritt und drehte eine Pirouette. Ich sah ihre nackten Füße auf dem eisigen Stein und die Perlenkette um einen totenweißen Knöchel. »Hat es Sie entsetzt, lieber Priester? Oder hat es Sie mit Freude erfüllt, als Sie zusahen, wie das Leben des Magischen im Boden versickerte?«
Dryfig schloss die Augen, und sein Gesicht wirkte so ausgelaugt, dass er fast so alt aussah, wie er war.
»Es hat dir gefallen, mein Süßer, nicht wahr?«, gurrte Rosea. »Aber schließlich sollten doch alle sterben, hab ich recht? Jedes einzelne Biest sollte im Feuer brennen. Denn was hatten sie schließlich deinem Vater angetan?«
»Euer Vater hat im Krieg gekämpft, Ältester Dyfrig?«, fragte Laurel. Er hatte aufgehört, seine blockierte Rune anzustarren, und konzentrierte sich jetzt auf den Doyen. Aber sein Blick war freundlich.
Rosea trat noch eine Stufe herab. »Ja, das hat er«, antwortete sie. »Er war ein feiner, aufrechter Mann, der dem Ruf seines Lehnsherrn folgte, ohne einen Gedanken an sich zu verschwenden. Aber so kam er nicht zurück, nicht wahr, mein Herz? Er hatte so viele Verletzungen davongetragen, und erst die Alpträume!« Sie leckte sich wieder die Lippen, und ihre Stimme zischte. »Alpträume, die bis in den Tag hineinreichten …«
Dyfrig schwankte, und ich hielt ihn fester, während ich einen besorgten Blick auf Jusson warf. Der König jedoch beobachtete nur die Schauspielerin, die langsam die Treppe herabstieg.
»Also seid Ihr genau das geworden, was Ihr gehasst habt, ehrenwerter Ältester«, meinte Wyln. »Was wollt Ihr jetzt tun?«
»Was kann er schon tun?«, fragte Rosea mit ihrer melodischen Stimme. Ihr eisiger Blick glühte. »Er ist wie ein altes, vergessenes Hügelgrab. Äußerlich grün und mit Gras bewachsen, aber innen voller Knochen von Toten. Werden seine Gebete erhört? Oder ist er ausgestoßen? Was glauben Sie, Priester?«
»Genau das ist die Frage«, flüsterte Dyfrig. »Woran glaube ich?« Er sah mich an. »Die Welt stirbt, Hase?«, fragte er dann.
»Ja, Euer Eminenz«, erwiderte ich. »Wenn wir versagen.«
Dyfrig nickte grimmig. Dann befreite er sich aus meinem Griff, nahm die Glocke vom Altar und läutete sie. Fest. Im Gegensatz zu den anderen Geräuschen war dieses hier klar und kräftig, und das Läuten hallte weit über den Platz. Rosea blieb wie erstarrt auf der Treppe stehen. Dyfrig holte tief Luft, dann erfüllte seine Baritonstimme die summende Stille.
»Höret an, wer hören mag, die Beichte meiner Sünde. Im zweiten Jahr meiner Doyenschaft sah ich zu, wie eine Person abgeschlachtet wurde, und tat nichts dagegen …«
»NEIN!« Rosea hastete die restlichen Stufen herunter und streckte ihre schneeweißen Hände nach Dyfrig aus. Ich trat hastig vor den Altar und hielt den Amtsstab vor mich. Die Schauspielerin blieb abrupt stehen und fletschte die Zähne. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Jusson neben sie trat, flankiert von Thadro und Wyln, während Beol lan und Ranulf sich ihr von der anderen Seite näherten. Ich tippte mit dem Stab auf den Boden, dass die Glocken bimmelten.
»Bei Gott und allen Heiligen!«, sagte ich, während Arlis und Jeff sich zu mir gesellten.
Als Helto sah, dass Rosea am Fuß der Treppe in der Falle saß, hob er den Arm. »Feuer!«, schrie er. Auf den Zinnen hoben Bram und die anderen ihre Armbrüste und schossen. Thadro hob rasch den Schild vor den König, und gleichzeitig stieg eine Salve von Pfeilen von den Bogenschützen auf dem Platz auf, welche die Schützen auf den Zinnen zwang, eilig in Deckung zu gehen, während Gawell, Ednoth und die andern auf dem Vorbau sich zu Boden warfen. Der Bürgermeister
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