Grenzlande 2: Die Königstreuen (German Edition)
seiner Entrüstung Ausdruck zu verleihen, aber Jussons Frage brachte ihn aus dem Konzept, und er stieß den Atem blubbernd wieder aus. »Wo ist wer?«, fragte er.
»Meister Rodolfo ist tot«, antwortete Jusson, »und Mistress Gwynedd ist für uns verloren. Bleibt also Rosea. Wo ist sie?«
Meister Ednoth drängte sich neben Gawell. Seine einfache Kaufmannskluft wirkte neben der glänzenden Pracht des Bürgermeisters fast trübselig, und das einzig Glänzende an ihm war sein kahler Schädel. Er legte Gawell die Hand auf die Schulter, und Seine Gnaden schloss gehorsam den Mund.
»Wir werden von Magischen und Hexern bestürmt, und Ihr fragt nach einer Schauspielerin?«, erkundigte sich Ednoth ungläubig.
»Ja«, sagte Jusson. »Wo ist sie?«
»Ihr seid ein Narr«, erklärte Gawell. »Kein Wunder, dass es letzten Frühling eine Rebellion gab. Diesmal aber werden wir Euch und Euer unfähiges Haus vom Thron fegen …«
»Ich bin ein Narr?« Jusson hob eine Braue. »Sie sind beim Abendessen vor zwei Nächten an mich herangetreten und haben sich darüber beklagt, dass mein Cousin Ihre Bürger verletzt und Ihre Stadt ins Chaos gestürzt hätte.« Der König deutete auf den Platz. »Sehen Sie hin, das sind Ihre Bürger, ist Ihre Stadt! Ihre Kirche wurde entweiht, Ihr Schließer ermordet, Ihre Kirchenschreiber von etwas ermordet, das von der Hölle selbst besessen war. Und dann herrscht hier, in der Stadt, die Sie als die Ihre beanspruchen, der eisige Tod. Sehen Sie hin! Das Leben selbst ist von diesem Platz geflohen! Spitzen Sie die Ohren! Wo ist der Pulsschlag Ihrer Stadt?«
Gawell und Ednoth versuchten Jusson zu unterbrechen, aber der König hatte weit mehr Erfahrung im Umgang mit Zwischenrufern und überging sie einfach. Die Leute, die sich Helto, Gawell und Ednoth angeschlossen hatten, traten unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, als Jusson sprach, und ihre Blicke zuckten zu der verlassenen Kirche, den Brandspuren der Scheiterhaufen und dann zu dem Eis, das alles überzog. Als Jusson schwieg und die dumpfe Stille zurückkehrte, warfen sie dem Bürgermeister und dem Vorsitzenden der Kaufmannsgilde sehr unglückliche Blicke zu.
»Eis ist ganz normal«, erwiderte Gawell verächtlich. »Das passiert jeden Winter …«
Ednoth grub seine Finger so fest in Gawells Schulter, dass seine Knöchel weiß hervortraten, und der Bürgermeister schrie schmerzerfüllt auf.
Noch ist nicht Winter.
Ich sah mich nach dem Sprecher um. Aber alle um mich herum verfolgten aufmerksam das Drama, das sich auf den Stufen abspielte.
»Es friert in der Tat jedes Jahr«, räumte Jusson ein. »Aber für gewöhnlich erst nach der Ernte …«
Ein gurgelndes Lachen unterbrach ihn, und die Leute unter dem Vordach traten zur Seite. Die meisten zuckten zusammen, während sich ihre betroffenen Gesichter in Fratzen des Entsetzens verwandelten. Gawell und Ednoth traten ebenfalls zurück, und der Bürgermeister feixte, als eine kleine Gestalt in einem grünen Gewand vortrat.
»Sehr beredt, König Jusson«, sagte Rosea. »Und wie sinnig! Ihr hättet auf der Theaterbühne gewiss Erfolge gefeiert!«
37
Arlis hatte recht gehabt; Rosea hatte sich enorm verändert. Ihr einst leuchtend rotes Haar war jetzt dunkelrot, so wie ihre Lippen. Ihre Haut glänzte so weiß wie Schnee im Vollmond, und ihre Augen glitzerten smaragdgrün. Als ich ihren Blick auffing, glaubte ich, das Rauschen des Meeres zu hören.
Sie vollführte einen Knicks. »Lord Hase. Wie schön, Sie wiederzusehen. Aber Sie haben abgenommen. Sind Sie krank?«
Bevor ich antworten konnte, gab Thadro ein Handzeichen, und die Königstreuen umringten mich. Gleichzeitig trat Jusson direkt vor mich. »Das ist also die berühmte Schauspielerin?« Sein Blick glitt zu Gawell und Ednoth, die hinter Rosea standen. »Die hier hat starke Männer dazu gebracht, ihre Eide zu vergessen und sich gegen ihren König zu verschwören?« Jusson schüttelte den Kopf. »Macht die Augen auf und seht! Erkennt, was sie ist! Die Finsternis der Hölle, gewandet in die Blässe des Todes!«
»Oh, bravo!« Rosea klatschte in die Hände.
»Nein, Mistress Rosea«, sagte Gawell. »Es war schlecht gespielt.« Er sah den König höhnisch an. »Ihr wollt uns die Augen öffnen, damit wir sehen?« Er nickte Helto zu, der ebenfalls ein Zeichen gab. Im nächsten Moment sprangen Männer mit Armbrüsten hinter den Zinnen auf dem Dach des Rathauses hoch. »Wir sind nicht blindlings in eine Falle gelaufen«, fuhr der
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