Grenzlande 2: Die Königstreuen (German Edition)
nicht anwesend war, hatte ich mich bereits in Bewegung gesetzt. Ich ging zum Eingang, begleitet von Jeff und einigen Königstreuen. Besorgt war ich nicht, jedenfalls nicht um die Sicherheit des Königs, denn ich kannte die Stimme. Wyln erkannte sie ebenfalls, denn er zog seine makellos geschwungenen Brauen zusammen, als er die Richtung änderte, um uns am Kirchenportal zu treffen. Zusammen traten wir auf die Kirchenstufen hinaus. Gwynedd stand vor einer Barriere von Stadtwachen und Königstreuen, hinter ihr die Mitglieder ihrer Truppe. Sie sah zu mir hoch. Das Licht der Straßenlaterne ließ die Tränen in ihren Augen schimmern. Ihr wunderschöner Mund war aufgerissen wie eine klaffende Wunde.
»Ich will Rodolfo sehen.«
»Lasst sie herein«, befahl ich. »Lasst sie alle herein.«
24
Doyen Dyfrigs Arbeitszimmer ähnelte in seiner Schlichtheit dem von König Jusson; die hölzernen Möbel waren schlicht, die Wände weiß verputzt wie die in der Kirche. Aber Dyfrigs abgenutzte Möbel hätten es nicht einmal durch die Hintertür der Königlichen Residenz geschafft, und Cais hätte vermutlich eher die Qualen der Verdammnis in Kauf genommen, als zuzulassen, dass in Jussons Arbeitszimmer auch nur annähernd ein derartiges Chaos geherrscht hätte wie in dem des Doyen. Zwischen Schriftrollen, Bücher, Pergamente und Papiere mischten sich getrocknete Kräuter und Blumen, kleine glatte Steine, Zeremonienschalen und ein Mauseschädel. All das war in Regale gestopft und auf zwei Tischen verteilt, oder es bildete wacklige Stapel auf Dyfrigs Schreibtisch. An einer Wand hing eine sehr genaue Karte des Tales und der umliegenden Berge. In die andere Wand war eine Reihe von Fenstern eingelassen, von denen aus man über Dächer blickte. In einem Fenster war gerade noch ein Stück des aufgehenden Mondes zu sehen, während im Fenster am anderen Ende die Flammen des Totenhauses den Himmel erleuchteten.
Gwynedd saß auf einem der hölzernen Gästestühle, die man rasch freigeräumt hatte, und hielt eine Tasse von Laurels Tee in der Hand. Wyln und ich hatten sie und die Angehörigen ihrer Truppe zu der Totenbahre eskortiert, auf der Rodolfo lag. Ihre Miene war ruhig gewesen, als Laurel den bunten Umhang angehoben hatte. Nachdem sie ihren Bruder lange betrachtet hatte, wandte sie sich ab, und der Blick ihrer dunklen Augen glitt wie abwesend über die Menschen in der Kirche, während einige Schauspieler in Tränen ausgebrochen waren und sich tröstend umarmten. Wyln und ich waren zurückgetreten, um Gwynedd in diesem Raum voller Menschen möglichst viel Platz zu geben, aber bevor einer von uns auf ihre stille Trauer reagieren konnte, war Dyfrig neben ihr. Leise mit ihr redend führte er sie von der Totenbahre, von dem lauten Schluchzen der Truppe und den Blicken der Neugierigen weg. Er brachte sie durch eine Seitentür in das Pfarrhaus. Jusson, Chadde, Wyln, Laurel, Jeff, die Königstreuen und ich bildeten einen Keil hinter ihnen, als die beiden in das Arbeitszimmer des Doyen hinaufgingen, wie auch Ranulf und Beol lan. Die beiden Lords der Gemarkungen hatten sich uns hastig angeschlossen und betraten wie selbstverständlich mit uns das Arbeitszimmer. Zu meiner Überraschung sagte Jusson nichts, sondern hob nur eine Braue, als sie es sich auf den Fensterbänken bequem machten. Der Rest von uns saß auf Stühlen, welche die Königstreuen in den Raum geschleppt hatten. Ich saß neben Gwynedd und hielt ebenfalls eine Tasse Tee in der Hand. Jeff stand hinter mir. Ich fragte mich, ob Laurels Vorrat an diesem Gebräu denn nie zu Ende ging, trank einen Schluck und machte mir nicht einmal die Mühe, mich wegen des bitteren Geschmacks zu schütteln. Der Tee füllte meinen leeren Magen und beruhigte meine Arme und Beine, die wieder angefangen hatten zu zittern.
»Wann haben Sie Ihren Bruder das letzte Mal gesehen, Mistress Gwynedd?«, fragte Chadde sanft. Sie hatte ihren Stuhl neben den Schreibtisch des Doyen gerückt und saß der Schauspielerin gegenüber.
Ich sah, wie sich die Flüssigkeit in Gwynedds Tasse kräuselte, als ihre Hand zitterte. »Gestern«, antwortete sie. »Als Rosea und er nach der Begegnung mit Lord Hase zurückkehrten. Ich war wütend auf ihn, und auf sie, wegen des Stücks, und überhaupt wegen allem. Wir haben uns gestritten, und dann ist er weggegangen. Die kleine Metze ist ihm gefolgt und hat mich dabei höhnisch angegrinst.«
»Und Sie haben nicht gesehen, in welche Richtung sie gegangen sind?«, erkundigte sich
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