Grenzlande 2: Die Königstreuen (German Edition)
stämmige Lord wirkte ungewohnt ungeschickt und ließ den Mantel fallen. Er bückte sich mühsam und hob ihn auf.
»Das ist wahr, Fellmark«, erklärte Jusson und befestigte die goldene Kette seines Umhangs über seiner Brust. »Ich hatte eigentlich vor, Freston einige Tage nach der Rückkehr von Hases Truppe zu verlassen. Das jedoch kommt ganz offensichtlich nicht in Frage.«
»Trotz all der Schrecken, Euer Majestät, ist das gut für uns«, meinte Chadde. Ihre grauen Augen strahlten hell im Licht der Alabasterlampen. »Die Dinge hier waren schon lange nicht mehr in Ordnung, und jetzt scheint es, als wäre das Gleichgewicht wiederhergestellt. Mit Gewalt, zweifellos, aber je mehr etwas aus der Ordnung geraten ist, desto mehr Macht wird benötigt, es wieder zu richten.«
Laurel und Wyln hatten ihre Umhänge angelegt. Laurel trat an meine Seite und schob diskret eine Tatze unter meinen Arm. Bei Chaddes Worten jedoch blickte er die Friedenshüterin an, als wäre sie ein fettes Reh, das an ihm vorbeiwatschelte, und jemand hätte gerade die Glocke fürs Abendessen geläutet.
»Laurel«, flüsterte ich. Die Miene des Berglöwen wurde sofort wieder ausdruckslos, und nur sein Schwanz zuckte.
Wyln lachte trotzdem leise. »Ertappt«, murmelte er.
»Vielleicht haben Sie recht, Chadde«, meinte Dyfrig, der Wyln nicht gehört hatte. Er warf Gwynedd einen kurzen Blick zu, doch sie war an den Altar getreten und starrte tränenblind auf die Gestalt ihres Bruders auf der Bahre. Dennoch senkte der Doyen die Stimme, und seine blauen Augen unter den buschigen weißen Brauen funkelten. »Aber es gibt andere Dinge, näherliegende Dinge, die nichts mit vergangenen Missetaten zu tun haben, über die wir reden müssen. Und zwar so bald wie möglich.«
»Da möchte ich Ihnen widersprechen, Eminenz«, sagte Jusson. »Ich glaube, die Vergangenheit hat sehr viel mit der Gegenwart zu tun. Auf jeden Fall werden wir das Gespräch nachholen, das wir heute Nachmittag versäumt haben. Wir sehen uns morgen früh.«
»Sofort nach der Morgenandacht, Euer Majestät«, versprach Dyfrig und geleitete uns zur Tür. Dort blieb er verblüfft stehen. Die Bänke waren nicht das Einzige, das umgestellt worden war. Keeve und Tyle hatten offenbar Nutzen aus einer vollen Kirche ziehen wollen und den Opferstock direkt vor die Tür gestellt. Dyfrig runzelte die Stirn, während er lächelte. »Meine Güte. Meine Jungs waren aber wirklich fleißig.«
»Jungs?«, fragte Jusson. Er warf uns einen Blick über die Schulter zu, bevor er wieder den Doyen ansah. »Sind sie mit Ihnen verwandt?«
Könige haben für gewöhnlich kein Geld bei sich, aber der Rest von uns schon. Wir verstanden den königlichen Wink mit dem Zaunpfahl und griffen nach unseren Geldbörsen.
»Eher durch Beziehungen, Euer Majestät, als blutsverwandt«, erwiderte Dyfrig. Ein gütiger Ausdruck überzog seine Miene, als wir Münzen in den Opferstock warfen, obwohl Ranulf sich immer noch recht ungeschickt anstellte und seine Münze auf dem Boden landete. Brummend bückte er sich, um sie aufzuheben. »Meine Schwester hat den Cousin zweiten Grades der Frau des Bruders von Keeves Großvater geheiratet«, erklärte Dyfrig. »Während Tyle mit der Mutter des Ehemannes meiner Großtante …«
Ranulf richtete sich schwankend auf und hielt sich an dem Opferstock fest, um nicht hinzufallen. Aber der hielt sein Gewicht nicht, sodass er und der Opferstock mit einem lauten Krachen zu Boden stürzten. Ich hatte mich gerade schläfrig mit dem Gedanken amüsiert zu verlangen, ein Zimmer mit Gwynedd teilen zu dürfen, aber alle Heiterkeit verflog, als ich auf die Juwelen und Goldmünzen starrte, die sich auf den Boden ergossen und im Dämmerlicht funkelten.
»Jemand macht sich da offenbar auf unsere Kosten lustig«, sagte Jusson in das plötzliche Schweigen hinein. Seine Augen schimmerten ebenso golden wie die Münzen. »Aber Wir sind nicht amüsiert!«
25
Selbst eine gründliche Befragung von Keeve und Tyle förderte nichts zutage. Sie hatten niemanden mit Fäusten voller Juwelen und Goldmünzen in der Nähe des Opferstocks gesehen. Das war nun wenig überraschend, denn abgesehen von Laurels Untersuchung von Rodolfos Leichnam, die sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war die Kirche zu diesem Zeitpunkt voller Menschen gewesen, die allesamt herumgeschlendert waren.
Dyfrig zog einen großen Schlüssel hervor und öffnete damit den Opferstock, in dem sich noch mehr Schätze befanden. Es war
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