Grenzlande 3: Das Vermächtnis (German Edition)
auf den Halbmond. Ich betrachtete ihn, aber Lady Gaias Gefährte schien sich damit zufriedenzugeben, schweigend am Himmel zu stehen. Vorläufig. Ich zog den Umhang enger um mich und suchte nach einer klugen Antwort. »Ich will verteufelt sein, wenn ich das weiß«, brachte ich schließlich hervor.
Godelieve stieß ein missbilligendes Schnauben aus. Berenice dagegen hob nur die Brauen. »Sie haben keine Überzeugungen? « Ihre Stimme klang etwas tonlos.
»Ich bin in den Grenzlanden aufgewachsen«, erwiderte ich und grinste. »Ich habe jede Menge Überzeugungen. Nur sind die meisten davon in jüngster Zeit widerlegt worden.«
»Ah.« Berenice lächelte wieder. »Welche zum Beispiel?«
»Es ist wohl mehr die Frage, welche nicht«, antwortete ich. »Meine Eltern mögen vielleicht aus Großen Häusern stammen, aber ich wurde als Bauernsohn erzogen und war bis vor Kurzem ein einfacher Reiter in einer Garnison einer kleinen Handelsstadt in den Nördlichen Gemarkungen. Meine Tage bestanden aus Patrouillendienst in den umliegenden Bergen und Kampf gegen Banditen, deren Ziel die Handelskarawanen waren …«
»Das muss ja ein spektakulärer Anblick gewesen sein«, warf Berenice ein, während sie meine Feder, meinen Zopf und die Luftkugel betrachtete.
Ich lächelte, während Groskin erneut knurrte und Ryson Geräusche von sich gab, die verdächtig nach ersticktem Lachen klangen. »Das war natürlich vor dem Zopf und all dem hier«, erklärte ich. »Jedenfalls war Freston so ziemlich das Ende der Welt. Trotzdem verirrte sich gelegentlich der überhebliche Sohn eines Lords mit einem vornehmen Doppelnamen zu uns, und meine Kameraden und ich halfen ihm nur zu gern, den richtigen Weg zu finden oder sich bald wieder davonzumachen. «
»Sie sagten, dass einige der Soldaten recht ungebärdig waren. «
»Wir nicht«, sagte ich. »Das hätten wir nicht gewagt. Nicht mit Suiden als Hauptmann. Nein, wir waren höflich, aber entschieden, denn Überheblichkeit wurde nicht toleriert. Diese Leute mussten sich beugen oder gehen. Die meisten gingen.«
»Verdammt richtig«, sagte Groskin sehr leise.
Berenices Blick zuckte über meine Schulter zu meiner improvisierten Leibwache, bevor sie mich wieder ansah. Die Beule bildete einen dunklen Schatten auf ihrem Gesicht. Andererseits schien ihr ganzes Gesicht im Schatten zu liegen, bis auf ihre Augen. Deren Braun wirkte in der Nacht schwarz, und das Licht der Feuerkörbe spiegelte sich darin. Ich beobachtete, wie die Flammen in ihnen tanzten und sich hell gegen die Dunkelheit abhoben.
»Und jetzt?«, erkundigte sich Berenice. »Haben sich Ihre Vorurteile verändert?«
»Ich fürchte, ich bin ebenso überheblich geworden wie die meisten Söhne von Aristokraten«, erwiderte ich. »Ich trage jetzt nicht nur den gefürchteten Doppelnamen, sondern erwarte mittlerweile auch ganz selbstverständlich gewisse Dinge. «
»Zum Beispiel ein Bad?« Das fröhliche Lächeln auf ihren Lippen passte ausgezeichnet zu den tanzenden Flammen in ihren Augen.
Mein Wangen glühten, und ich war froh, dass die Flammen so stark flackerten. »Ja, zum Beispiel«, erwiderte ich. »Das erwarte ich. Außerdem gehe ich davon aus, dass Finn meine Ausrüstung in Ordnung hält, dass Bertram mich mit erlesenen Leckereien und guten Getränken begrüßt. Und aus irgendeinem Grund habe ich auch erwartet, heute Abend neben Ihnen zu sitzen, in Anbetracht des Anlasses, weshalb ich hier auf der Burg bin.« Ich sah, wie jede Fröhlichkeit aus Berenices Gesicht verschwand und die Schatten zurückkehrten. »Es hat mich überrascht, dass diese letzte Erwartung nicht erfüllt wurde.«
Berenice trank einen Schluck des mittlerweile kalten Tees, während ihr Blick auf die beleuchteten Schiffe im Hafen gerichtet blieb. »Sie reden von Dingen, die Sie erwartet haben«, sagte sie nach einem Augenblick. »Nun, Sie haben den Erwartungen ebenfalls nicht entsprochen.«
Das verwirrte mich. »Nicht? Aber Sie haben doch eine Nachricht an den König geschickt …«
»Nein, Mylord«, unterbrach sie mich. »Wir haben zwar erwartet, dass Sie eintreffen, aber als Sie eintrafen, haben wir nicht Sie erwartet.«
Darüber musste ich nachdenken. »Oh«, sagte ich schließlich, als ich es begriffen hatte und mir die nachdenklichen Blicke wieder einfielen, die mir Berenices Vater zugeworfen hatte, sowie die ehrfürchtigen Blicke ihrer Mutter. »Warum nicht? Wegen meines Zopfes und meiner Feder?«
Berenice lächelte kurz. »Wegen allem«, sagte sie und fuhr
Weitere Kostenlose Bücher