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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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alten Chef enttäuscht an. »Oder hast du sie nur verschwinden lassen?«
    »Du tickst doch nicht mehr richtig«, rief Piontek, »mir so was zu unterstellen, ein Wahnsinn! Dir haben sie doch ins Hirn geschissen!«
    »Vielleicht«, nickte Schwartz, »vielleicht auch nicht. Und bis das geklärt ist, bist du suspendiert.« Er öffnete unmissverständlich die Tür.
    »Nee, Brauner!« Piontek rührte sich nicht von der Stelle und schüttelte den Kopf. »Du kannst mich nicht einfach rausschmeißen. Nicht aus meinem eigenen Büro!«
    »Du lässt mir doch keine andere Wahl«, brüllte Schwartz, inzwischen völlig außer sich, »glaubst du, mir macht das Spaß? Du willst doch sowieso nicht in dem Fall weiterermitteln, für dich ist doch alles sonnenklar! Also tschüss, Abmarsch nach Hause! Mach gefälligst Feierabend, Klaus!«
    Der holte tief Luft und packte stumm seine Tasche zusammen. Dann nahm er seine Jacke und ging zur Tür.
    »Das wird dir noch leidtun, Brauner«, sagte er leise, »sehr leid.«
    Schwartz schloss die Tür hinter ihm und atmete erst mal tief durch. Nicht zu fassen, dachte er, wenn mir das jemand vor fünf Jahren erzählt hätte. Unglaublich!
    Er ging zur Sprechanlage und drückte eine Taste. »Vicky. Ich brauche alles zum Fall Kuhnt, hören Sie? Alles! Also nicht nur die Ermittlungsberichte, sondern die gesamten Akten, Protokolle, Analysen von Spusi und Gerichtsmedizin. Ist das bei Ihnen angekommen?«
    Keine Antwort.
    »Hallo!«, brüllte er.
    »Der Piontek ist hier gerade raus«, kam es aufgeregt aus dem Lautsprecher, »haben Sie ihn wirklich suspendiert?«
    »Exakt«, knurrte Schwartz. »Würden Sie mir jetzt bitte die geforderten Unterlagen bringen?«
    Wenig später saß er zwischen Aktenstapeln bei einer Arbeit, die ihm aus Habersaaths Dresdner Polizeidirektion ungeheuer bekannt vorkam: Er sichtete Unterlagen zu einem alten Fall. Um ihn anschließend neu zu bewerten.
    Das Leben war eben doch ein ewiger Kreislauf.

39
    ES REGNET,  die Wischer laufen, und vor dem Grenzübergang Chopinstraße stauen sich die Lastzüge. Wenigstens die Pkw werden einfach durchgewunken, weil die Grenzer mit dem Güterverkehr genug zu tun haben. Nur uns halten sie an. Nicht deutsche Zöllner, sondern die Polen.
    Finster starre ich den  »Celnik«  an, und der guckt genauso düster zurück, bevor er sich meinen Personaldokumenten widmet. Dann latscht er damit zu seinem Postenhäuschen und bleibt da drin. Ich fasse es nicht. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit lässt er sich wieder blicken und gibt mir meine Papiere zurück. Wir dürfen endlich weiterfahren.
    »Scheiß polnische Grenzbullen!« Ich starte den  GAZ  und mache, dass ich Land gewinne.
    »Was haben die dir getan?«, fragt Jule.
    Manchmal frage ich mich, ob diese Arglosigkeit von ihr echt ist oder gespielt. Ich meine, was soll die blöde Frage, sie hat doch gesehen, dass wir als Einzige angehalten wurden.
    »Alle anderen haben sie durchgewunken. Nur uns nicht.«
    »Kein Wunder«, meint Jule, »du wirkst in der Karre auch, als wolltest du Schlesien zurückerobern.«
    »Die hätten mal lieber ihre polnischen Landsleute kontrollieren sollen«, ärgere ich mich. »Von denen hält sich keiner an die Zollbestimmungen, die sind immer voll bepackt bis unters Dach. Aber davon lebt ja die Polackenwirtschaft.«
    »Du lieber Himmel«, spottet sie, »jetzt redest du schon wie mein Uropa. Der hat schon bei rot-weißen Fahnen immer Wutanfälle gekriegt. Aber der hatte wenigstens Grund, auf die Polen sauer zu sein, hat immerhin in Pommern Haus und Hof verloren.«
    »Ja«, knurre ich, »das war auch so eine Sauerei mit den Ostgebieten.«
    »Tja«, macht Jule schulterzuckend, »wer einen Krieg anzettelt, muss damit rechnen, dass er ihn verlieren kann. Und dann bestimmt der Sieger, wer was kriegt. So einfach ist das.«
    Na, wenigstens meckert sie nicht rum, denke ich, und macht mir wieder meine Gesinnung zum Vorwurf. Normalerweise verhält es sich ja so, dass einem die Zecken genau sagen, was man zu denken und zu fühlen hat.
    In Sieniawka, dem früheren Kleinschönau, nehme ich am großen Polenmarkt, einer schlammigen Wüste mit geschätzten drei Millionen Marktständen, an denen vor allem miesester Ramsch verkauft wird, die 354, eine verregnete, von Pfützen getränkte Holperstraße, die zwischen dem polnischen Neißeufer und einer gigantischen Mondlandschaft direkt nach Norden führt. Links der Fluss, rechts die sich fünfundvierzig Quadratkilometer weit ausdehnende Grube des

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