Grenzwärts
zurückkommt?«
»Woher soll ich das wissen?« Frau Rouché hob die Hände. »Die ist schon den ganzen Tag unterwegs. Hat sich das alte Fahrrad meines Mannes ausgeliehen. Na ja, er benutzt es schon seit Jahren nicht mehr. Das Alter, wissen Sie, die Gelenke machen nicht mehr mit.«
»Vielleicht ist sie im Podtsch«, überlegte Roland, dem plötzlich der Gedanke kam, dass man ihm dort helfen könnte. Das waren doch Gutmenschen da, vielleicht würden sie ihn aufnehmen, nachdem er sich reuig gezeigt und Besserung versprochen hatte. Vielleicht konnten die ihn retten? Unsinn, schalt er sich, was können die schon ausrichten? Und überhaupt, wenn er unbedingt überleben wollte, müsste er sich stellen. Aber ein Mädchenhändler im Knast? Allein die Vorstellung löste neue Angstzustände in ihm aus. Gott, das war sicher schlimmer, als erschossen zu werden, nein, er musste das irgendwie anders regeln, irgendwie …
»Herr Paich?«, erkundigte sich die Rouché. »Ist Ihnen nicht gut?«
»Bitte?« Roland schrak aus seinen Gedanken auf und schüttelte sich. »Nein, mir geht’s gut, danke. Ich hätte halt nur Julia gerne noch mal gesehen. Bevor …«
»Die kommt schon noch«, sagte Frau Rouché, »ist ein rechter Wildfang, wissen Sie, plötzlich ist sie da, rennt auf ihr Zimmer, dann geht sie wieder weg. Ein geschäftiges Mädchen, würde ich sagen.« Sie sah ihn fragend an. »Wollen Sie im Restaurant warten? Ich könnte Ihnen was zu essen bringen. Wir haben ganz leckere Hirschkeule im Angebot. In Rosmarin-Brombeer-Mousse.«
»Ich würde lieber oben warten. Im Zimmer von Ju… – also von Frau Latte.«
»Oh, das ist ein Problem.« Frau Rouché hob beleidigt die Augenbrauen. »Denn entgegen unseren Gepflogenheiten hier pflegt das Fräulein Latte die Zimmerschlüssel immer mitzunehmen, wenn sie das Haus verlässt. Anstatt sie hier unten an der Rezeption abzugeben. Offenbar misstraut sie uns.«
»Aber nein«, entgegnet Roland, »warum sollte sie Ihnen misstrauen?«
»Eben. Es gibt keinen Grund. Und dennoch«, seufzt Frau Rouché, »hat sie mir mehrmals und in aller Deutlichkeit klargemacht, dass ich ihr Zimmer nicht zu betreten habe. Auch nicht in ihrer Abwesenheit. Auch nicht, um sauber zu machen. – Was soll man davon halten?«
»Ein Mädchen mit Geheimnissen«, fand Roland.
»Genau das hat mein Mann auch gesagt.« Frau Rouché strahlte.
»Und Sie haben keinen Zweitschlüssel?«
»Natürlich.« Frau Rouché verschränkte die Arme. »Ich muss ja rein in die Zimmer, wenn mal was ist. Aber ich würde natürlich nie einfach so … Zumal es mir ausdrücklich untersagt worden ist.« Sie griente Roland listig an. »Von Ihnen hat sie allerdings nichts gesagt.«
»Vor mir«, Roland lächelte Frau Rouché galant an, »hat das Fräulein Latte ja auch keine Geheimnisse.«
Frau Rouché schien einen Augenblick lang zu zögern, doch dann siegte die Neugier.
»Na gut, kommen Sie, Sie Charmeur«, gurrte sie, »ich schließe Ihnen auf.«
Roland folgte ihr die Treppe hoch. Frau Rouché holte den Generalschlüssel aus ihrer Tasche und sperrte die Tür zum Zimmer Nummer vier auf.
»Bitte schön!« Sie zwang sich, Roland zuerst eintreten zu lassen, bevor sie – endlich – einen Blick hineinwarf.
»Und?«
Nichts und. Roland setzte sich auf einen der barocken Stühle und schlug die Beine übereinander. Frau Rouché sah sich gründlich um. Das Bett war ungemacht, auf dem Boden lag eine Illustrierte, sonst schien alles normal. Keine besonderen Geheimnisse zu sehen.
»Soll ich Ihnen einen Tee bringen?«
»Das wäre nett, danke«, erwiderte Roland, »mit Honig statt Zucker, bitte.«
»Wird prompt erledigt«, sagte Frau Rouché, zwinkerte ihm zu und verschwand.
Roland atmete tief durch. Das Zimmer wirkte beruhigend auf ihn, die pastellfarbenen Töne, der Geruch. Irgendein Parfum. Ob es von Julia war? Er bemerkte eine schmutzige Spur auf dem Teppich, mehrere lehmige Schuhabdrücke. Und dann sah er, dass sie von ihm stammten. Seine Schuhe waren völlig verdreckt vom Schlamm des Berzdorfer Tagebaus vorhin.
Roland zog die Schuhe aus und ging damit ins Badezimmer, um sie vorsichtig mit Wasser und einem feuchten Lappen zu säubern. Schmutzige Brühe floss ins Waschbecken ab. Als er das Wasser wieder abgestellt und ein Handtuch genommen hatte, um die Schuhe damit vorsichtig abzureiben, war ihm, als hätte er im Zimmer ein Geräusch gehört. Wie ein unterdrücktes Niesen. Aber konnte das sein?
Roland verharrte. Lauschte. Aber es war
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