Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
Vom Netzwerk:
Braunkohletagebaus Turów. Unmittelbar neben uns geht es zweihundert Meter in die Tiefe. Riesige Eimerkettenbagger haben sich bis auf wenige Meter an Fluss und Straße herangegraben und die Deiche rissig gemacht.
    »Was für eine gewaltige Umweltzerstörung«, flüstert Jule entsetzt.
    »Ja, sieh’s dir genau an«, fordere ich sie auf. »Was deine polnischen Freunde hier mit unserem schönen Niederschlesien anstellen, geht auf keine Kuhhaut.« Ich stecke mir eine Karo an und weiche ein paar Schlaglöchern aus. »Seit Jahren schon warnen Geologen, dass beim nächsten Hochwasser die Deiche brechen und die Neiße den Tagebau fluten könnte. Ein nachfolgender möglicher Erdrutsch würde dabei ganz Zittau und Umgebung mit in den Abgrund reißen.«
    »Echt?« Jule starrt mich groß an.
    »Da guckste, was?« Ich ziehe an der Zigarette. »Ist ja nicht so, dass mir das alles am Arsch vorbeigeht. Ich mach mir schon Sorgen, wie das mal enden soll. Ganze Häuser mussten auf deutscher Seite schon abgerissen werden, weil ihre Fundamente Risse bekommen hatten und sie baufällig wurden. Nee, nee …« Ich schüttele den Kopf. »… bei aller Völkerliebe. Aber das geht zu weit.«
    »Das kannst du doch nicht einfach an den Polen festmachen«, will mir Jule widersprechen, doch bevor sie mir wieder mit irgendeiner pi-ßi-Phrase das Ohr abkaut, unterbreche ich sie.
    »Hast du die heulenden Kinder gesehen«, frage ich zugegeben recht pathetisch, »die weinenden Mütter, die ihre Häuser deswegen verlassen mussten? Die Väter, die ihre Gesundheit geopfert haben, um ihrer Familie ein Dach zu bieten? Ein schönes Zuhause? Und dann ist alles weg. Abgerissen, weil die Polen sich unbedingt immer weiter an unsere Grenze ranbaggern müssen.«
    Und nichts geschieht, denke ich verbittert. In Polen wird weitergebuddelt, während irgendwelche Kommissionen tagen und politische Debatten ergebnisoffen, wie es so schön heißt – also ohne Ergebnis –, geführt werden. Bis irgendwann alles buchstäblich den Bach runtergeht.
    Im Leineweberdorf Lehde, einem früher mal recht idyllischen Ort, der heute den unaussprechlichen Namen Trzciniec Dolny führt, erwartet uns dann die nächste Umweltkatastrophe. Denn hier steht das Braunkohlekraftwerk Turów. Eine gewaltige Dreckschleuder mit acht Kühltürmen und eine der größten derartigen Anlagen in Europa überhaupt. Riesige Rauchwolken steigen in den Himmel und vermischen sich da mit der ohnehin düsteren Wolkendecke. Aber auch an schöneren Tagen können sie die Sonne verfinstern, dass man meint, ein Gewitter ziehe auf. Keine Ahnung, wie viele Tonnen  CO 2  da minütlich in die Atmosphäre geblasen werden.
    »Und?« Triumphierend sehe ich Jule an. »Begeistert von Polen?«
    »So was gibt es im Westen auch«, erwidert sie leise und kaut an ihren Haaren. »Die schlimmsten Umweltzerstörer sind ohnehin die  USA .«
    Na klar. Der böse Satan ist zurück. Wenn den Zecken nichts mehr einfällt, bemühen sie die Vereinigten Staaten von Amerika. Die sind für jede Schandtat gut.
    »Was hast du eigentlich gegen Schwarze?«, wechselt sie das Thema und bleibt eigentlich doch beim selben.
    »Nichts«, sage ich, »solange sie hübsch in Afrika bleiben.« Ich meine, was wollen die hier? Frieren? »Ich finde, wenn alle bei sich bleiben und sich um ihre Angelegenheiten kümmern, essen, was sie angebaut, und konsumieren, was sie hergestellt haben, dürfte es auf der Welt richtig friedlich werden, meinst du nicht?«
    »Nein, das meine ich ganz und gar nicht«, widerspricht Jule entschieden. »Und du hältst dich ja auch nicht dran. Guck dich doch mal an! Deine Bomberjacke ist englisch, die Schuhe auch und dein T-Shirt, na, sagen wir mal Korea. Deine Jeans sind aus Amerika und deine Unterwäsche …«
    Immerhin. Jetzt interessiert sie sich schon für meine Unterwäsche. Wir kommen voran.
    »Selbst dein Jeep ist von den Russen.«
    Ist ja auch ‘ne Scheißkiste, denke ich und stoppe ihn auf dem weitläufigen Parkplatz der Kraftwerksarbeiter vor einer Bar. Was im Polnischen lediglich Imbissbude bedeutet und mit dem, was man in Deutschland gemeinhin als Bar zu bezeichnen pflegt, nichts zu tun hat.
    »Was machen wir hier?«
    »Warten«, antworte ich, steige aus und hole ein paar Zlotys aus meiner Hosentasche. Das Bier wenigstens ist okay in Polen. Aber sie brauen es ja auch nach dem deutschen Reinheitsgesetz.
    »Komm!« Ich halte ihr die Autotür auf und ziehe sie rasch am Ärmel in den Imbissladen, da der Regen

Weitere Kostenlose Bücher