Grenzwärts
saßen und sich unterhielten. Der Grill war runtergebrannt. Laila nirgends zu sehen. Er suchte sie im Haus, fand erst seinen Vater mit Ursula und dann Laila. Nackt und verschwitzt lag sie auf dem Wasserbett im Gästeappartement, neben sich einen champagnerseligen Jochen Kuhnt, der ihr das Blaue vom Himmel versprach.
Danach wurde alles anders. Laila redete nur noch von Jochen. Weihnachten wollte er mit ihr in der Karibik verbringen. Eine Kreuzfahrt ins Mittelmeer war schon gebucht. Laila phantasierte, dass es sogenannte vorgezogene Flitterwochen werden würden. Aber das war Quatsch. Tobis Vater wusste, dass Jochen sich nie von Ursula trennen würde. Er suche lediglich Abwechslung, sagte er, sei, was Frauen betreffe, eben kein Kostverächter, der vögele alles, was nicht bei drei auf den Bäumen saß.
»Rede deiner Laila diesen Quatsch aus«, hatte er von Tobi verlangt.
Aber die hörte ja nicht mehr auf ihn, die war wie in Trance, da ging es nur noch um Jochen, Jochen, Jochen …
Sie suchte eine Kirche aus für die Trauung. Die schönste und romantischste Dorfkirche in ganz Polen sollte es sein. Standesamtlich würde sie sich selbstverständlich in Deutschland trauen lassen, allein schon wegen der Papiere.
Es wird keine Hochzeit geben, beschwor Tobi sie, du redest dir da was ein!
Aber er konnte machen, was er wollte, Laila wollte nichts hören. Er sei nur eifersüchtig, warf sie ihm vor, und wolle Jochen deshalb schlechtmachen.
Dabei war dem die Beziehung mit Laila schon viel zu eng. Kuhnt konnte gar nicht heiraten, er war es ja bereits: glücklich verheiratet. Eine Trennung kam für ihn überhaupt nicht in Frage. Mit Laila wollte er nur seinen Spaß, keine neue Familie. Und weil sie ihm inzwischen »viel zu sehr auf die Pelle rückte«, wie er es nannte, wich er ihr zunehmend aus.
Am Ende mied er sie, wo es nur ging, und Laila litt. Sie aß kaum noch was, wurde immer magerer und stiller. Tobi konnte es nicht mehr mit ansehen.
»Weißt du, was ich gemacht habe?«, fragte er Schwartz und tippte sich auf die Brust. »Ich bin sogar hingefahren zu dem Kuhnt, ich hab ihn angefleht, Laila nicht so im Regen stehen zu lassen. Ich hab ihn gebeten, sich mit ihr zu treffen, ganz harmlos, damit sie wieder so etwas wie Freude empfinden kann. Und weißt du, was er mir gesagt hat? ›Wenn ich schauspielern könnte, wäre ich ans Theater gegangen.‹ – Von diesem Tag an habe ich ihn gehasst.«
Schwartz nickte langsam. »Und dann«, fragte er, »was passierte dann?«
»Dann fuhr Laila zu ihm nach Rosenthal. Sie wollte mit ihm reden. Aber das muss total in die Hose gegangen sein. Mein Vater, der gerade mit Ursula zugange war, hatte einen Teil des Gesprächs mitbekommen. Kuhnt soll regelrecht ausgerastet sein. Sie bedränge ihn, hatte er gebrüllt, spioniere ihm nach, erpresse ihn mit ihrer durchgeknallten Liebe. Sie solle sich zum Teufel scheren. Und dann hat er sie rausgeschmissen.« Tobi seufzte. »Aber sie ging nicht. Blieb einfach vor dem Tor. Eine stumme Anklage. Vater rief mich an, ich solle sie abholen. Also bin ich hin. Wollte sie wegbringen aus Rosenthal, weg von Kuhnt. Aber sie weigerte sich. Vergebens hab ich versucht, ihr diesen Mann auszureden. Ohne Erfolg.« Er atmete tief durch und sah Schwartz mit feuchten Augen an. »Laila konnte sehr hartnäckig sein. Sie belagerte Kuhnts Haus regelrecht, verlangte, dass er mit ihr sprach. Sie blieb bis in die Nacht. Aber er zeigte sich ihr nicht einmal mehr. Rief stattdessen einen Streifenwagen, der sie zur Grenze brachte. Laila wurde abgeschoben wie eine Kriminelle. Wegen Hausfriedensbruchs.« Tobi schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. »Zwei Tage später«, schluchzte er, »warf sie sich in Zgorzelec vor einen Lastzug. – Und ich konnte nichts machen. Alles hab ich versucht, aber ich konnte nichts machen!« Er weinte bitterlich.
Puh. Schwartz überlegte, was er tun konnte, um den Jungen zu beruhigen. Das waren diese Situationen, die er fürchtete. Wenn Verdächtige zusammenbrachen oder Zeugen. Wenn das ganze Elend dieser Welt plötzlich über der Vernehmung stand, das fatale Zusammentreffen unglücklicher Umstände, die ganze Tragik des Seins, die man Schicksal nennt. Dann fühlte er nur noch Hilflosigkeit. Ohnmacht, das ungute Gefühl, nicht zu wissen, was zu tun war.
»Ich ging joggen«, schniefte Tobi. »Wie ein Irrer jeden Tag durchs Neißetal. Damit ich nicht verrückt wurde. Laila lag im Koma. Meine hübsche Laila! Jeder Knochen war gebrochen,
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