Grenzwärts
aufgeregtes Getuschel. Stimmen von Mädchen, die aufgeregt beobachten, was draußen geschieht.
Aber in welchem dieser Zimmer ist Jelena? Wir können unmöglich überall nachschauen, das würde ein fürchterliches Geschnatter geben – Mädels sind so. Die können die Klappe nicht halten. Mich wundert ja schon, dass Jule so lange keinen Kommentar mehr von sich gegeben hat.
Irgendwo rauscht eine Klospülung. Kurz darauf klappt eine Tür. Rasch ziehe ich Jule zurück ins Treppenhaus und linse in den Gang.
Oh Gott, ein Inder! Oder ein Pakistaner, irgendso ‘n Kanake jedenfalls. Verschlafen latscht er den Gang entlang. Als er an uns vorbeikommt, kicke ich ihm erst mal das gestreckte Bein vor die Brust. Der Inder knallt gegen die Wand, Jule kreischt erschrocken auf, hat sich aber gleich wieder in der Gewalt. Ich schiebe dem Inder den Lauf von Rolands tschechischer Armeepistole in den Mund.
»Kein Mucks, klar?«
Der Inder flackert ängstlich mit den Augen.
»Muss das sein, Kudella?« Jule starrt mich wütend an. »Der Mann hat uns nichts getan.«
»Er soll aber gleich was für uns tun«, erwidere ich. »Das Foto, zack, zack!«
Jule öffnet den Reißverschluss ihres Anoraks und holt das Polaroid aus der Innentasche.
»Na los, zeig’s ihm!«
»Excuse me«, stammelt sie und hält dem erschrockenen Inder das Foto vor die Nase, » do you know this girl ? Jelena?«
Der Inder glotzt nur bedeppert und versteht vermutlich kein Wort. Ehrlich, ich begreife überhaupt nicht, was diese Kanaken hier verloren haben. In Europa! Was erhoffen die sich? Was glauben die, was hier ist, Mann? – Scheiße is!
Und sprechen kann er offenbar auch nicht!
»Ja, wie soll er denn antworten«, regt sich Jule auf, »mit der Pistole im Mund!«
Stimmt. Manchmal muss man eben nachgeben. Ich ziehe die Waffe vorsichtig aus seinem Schlund und sehe ihn erwartungsvoll an.
»War schöner in Indien, was?«
Der Inder nickt und deutet vorsichtig nach links. »Jelena?«, sagt er fragend, »Jelena from Russia ?«
»Voll erfasst, mein Junge«, nicke ich zufrieden und zeige ebenfalls nach links. »Da lang?«
»Dalang«, der Inder strahlt und schüttelt den Kopf, »dalang Jelena.«
Also die andere Richtung. Ich will nach rechts, aber der Inder hält mich fest, lächelt mich an und zieht mich nach links. Ja, was denn nun? Doch links oder was?
Der Inder wackelt mit dem Kopf. »Dalang, Jelena, dalang!«
Ist der bekloppt, oder will der mich verarschen? Drohend zeige ich ihm die Waffe.
Der Inder hebt erschrocken die Hände und nickt.
»Hör zu«, sage ich ruhig, »das ist eine Frage der internationalen Kooperation.« Ich lasse die Pistole demonstrativ sinken. »Dieses Ding knallt nur, wenn man nicht spurt, klar?«
»Oh Mann, Kudella, du bist so ein Arsch«, stöhnt Jule.
»Wieso? Ich versuche eine friedliche bilaterale Beziehung aufzubauen.« Ich wende mich wieder dem Inder zu. »Ist Jelena nun links?« Ich zeige ihm, wo links ist, und der Inder wackelt verneinend mit dem Kopf. »Also rechts«, folgere ich und deute nach rechts.
Der Inder nickt.
Na bitte, geht doch. Dann müssen wir rechts den Gang hinunter. Ich will los, doch der Inder zupft mich am Arm und zieht mich nach links.
»Sorry«, sagt er, »Jelena dalang.«
»Doch links?«
Der Inder wackelt mit dem Kopf, zieht mich aber trotzdem weiter nach links.
Verwirrend, dieses Verhalten, denke ich, Gesten und Kopfbewegungen passen bei dem Mann einfach nicht zusammen. Kein Wunder, wenn’s in den Entwicklungsländern nicht vorangeht.
»Dalang, dalang«, flüstert der Inder lächelnd, faltet die Hände und verbeugt sich dann tief vor mir. Dann öffnet er vorsichtig eine der Zimmertüren.
Eng stehen drei Doppelbetten im Raum. Sechs Mädchen in grünen Adidasanzügen springen hastig in ihre Betten und starren uns erschrocken an. Durch die Fensterscheiben dringt der Widerschein der brennenden Autos draußen und spiegelt sich auf ihren Gesichtern.
Gott, sind die alle süß, denke ich. Und so jung.
» Kto Jelena?«, ruft Jule, und der Inder echot: »Jelena dalang …«
»Halt die Klappe«, unterbreche ich ihn, nehme Jule das Foto aus der Hand und zeige es herum.
»Unser Kommando arbeitet im Auftrag dieses Mädchens«, erkläre ich militärisch knapp. »Wir suchen ihre Schwester Jelena.« Und tatsächlich richtet sich auf einem der oberen Betten ein Mädchen auf, das dem auf dem Bild ziemlich ähnlich ist.
» Kto Jelena?«, fragt Jule wieder, aber das sieht ein Blinder.
»Okay«,
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