Grenzwärts
sage ich zu dem Mädel, »runter mit dir, zack, zack, noch ist der Gegner abgelenkt, aber wir wissen nicht, wie lange.«
»Du spinnst«, findet Jule und tippt sich gegen die Stirn.
Wieso, denke ich, stimmt doch.
Aber Julchen will noch ein bisschen quatschen, und zwar auf Russisch.
»Ja idu ottuda tebja sestra Swetlana, panimajesch?«
Das Mädchen nickt. Alle anderen schweigen gespannt.
»Mui tebja privestjemk swoi, okay?«
Das Mädchen strahlt.
»Dawai, dawai.« Ich klatsche ungeduldig in die Hände. Bevor die hier noch den Samowar rausholen …
Das Mädchen klettert rasch vom Bett und beginnt, eine große Reisetasche darunter hervorzuziehen.
»Nichts da!« Mit dem Fuß schiebe ich die Tasche wieder unters Bett. »Kein Gepäck, bitte.«
Jelena sieht mich erwartungsvoll an. »Dann ich bin fertig«, sagt sie auf Deutsch.
»Na bestens«, finde ich das, »Abmarsch!«
»Dalang«, freut sich der Inder und will uns folgen, »dalang Jelena!«
»Du bleibst hier«, stoppe ich ihn. So weit kommt’s noch, dass ich mir so ‘n Kanaken ans Bein binde, nee, bei aller Menschenliebe. »Sorry, aber ich hab mit den Weibern hier genug zu tun, capito ?« Ich klopfe ihm tröstend auf die Schulter und verabschiede mich mit militärischem Gruß.
Jule verdreht die Augen. »Können wir?«
»Wir müssen«, sage ich und treibe die Mädels rasch die Treppe hinunter.
Unten kommen die Schlepper polternd in die Gaststube zurück und reden laut durcheinander.
Mist! Wir drücken uns im Treppenhaus an die Wand. Wenn jetzt einer hochkommt, sind wir verloren. Der Hinterausgang, denke ich fieberhaft, ich habe doch von draußen einen Hinterausgang gesehen.
»Jelena«, flüstere ich, »die Küche? Wo ist die?«
Sie zeigt auf eine Tür. Ich öffne sie, schaue vorsichtig hinein. Alles leer.
»Okay, rein hier, schnell!«
Es ist stockfinster in der Küche. Jule reißt einen Topf oder eine Pfanne mit sich. Laut scheppernd geht sie zu Boden. Wir verharren angespannt in der Bewegung, warten.
Die Schlepper in der Gaststube scheinen nichts bemerkt zu haben und diskutieren unvermindert weiter.
In der Küche ist tatsächlich jene Tür zum Hof, die ich von draußen aus gesehen hatte. Leider ist sie abgeschlossen.
»Durchs Fenster«, sage ich leise und entriegele eines. »Na los!«
Dummerweise fangen die bescheuerten Hunde im Zwinger an zu kläffen, kaum dass wir im Hof sind, und machen mächtig Alarm. Sie bellen und heulen wie verrückt. Verdammt scharfe, muskulöse Köter, mit gefletschten Zähnen springen sie an den scheppernden Gittern hoch. Spätestens jetzt weiß jeder, dass wir hier sind.
Überall im Haus gehen die Lichter an, ein Scheinwerfer im Hof springt an und blendet uns. Gleißende Helligkeit um uns herum.
Hastig stelle ich mich an das hölzerne Hoftor und wuchte mittels einer Räuberleiter erst Jelena, dann Jule hinüber. Aus der Küche stürzt ein Mann auf mich zu, doch ich kicke ihm einen Fuß ins Gesicht, dass er stürzt. Dann entere ich selbst über das Tor und lande auf der anderen Seite.
Rasch zum GAZ , doch schon versperren die beiden Russen mit Rolands Porsche die Straße. Nervöse Typen mit Maschinenpistolen kommen von allen Seiten herangerannt. Schüsse peitschen, zischend pfeift die Luft aus den Reifen meines GAZ .
»Was ist das?«, schreit Jule immer wieder und begreift nicht, was geschieht, »was ist das?«
»Die schießen, verdammt noch mal!«
Hastig drücke ich die Mädchen hinter dem GAZ in Deckung und trete ein morsches Tor zu einem Gehöft auf.
»Los, kommt! Wegwegwegweg!«
Wieder peitschen Schüsse! Einer trifft mich am Arm, wie ein heißer Schlag. Besser als ins Bein, denke ich, obwohl der Treffer ein Schock für mich ist. Aber ich kann mich jetzt nicht darum kümmern. Wir müssen weg hier, rennen über einen düsteren Hof, springen über Zäune, flüchten durch einen stockfinsteren Garten. Dunkelheit ist gut. Wenn wir nichts sehen, sehen die auch nichts.
Aber hören tue ich sie. Stiefelgetrappel wie von einer ganzen Kompanie. Vermutlich sind die Bomberjacken hinter uns her. Ich höre, wie sie sich was zurufen. Russisch, Polnisch, was weiß ich, es ist auch egal, ich ahne, dass sie sich verteilen, um uns zu kriegen.
Weiter, weg hier, immer weiter!
Dann sind Bäume um uns rum, ein Wald oder so was, keine Ahnung. Gestrüpp und Pfützen! Ich renne und ziehe die keuchenden Mädels hinter mir her, und meine Arme werden immer länger.
Und noch immer höre ich die Hunde bellen und jaulen.
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