Grenzwärts
tausend Notoperationen, und trotzdem wusste niemand, ob sie je wieder erwachen würde.« Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich rannte, um zu vergessen.«
»Du hast ihn zufällig getroffen?«, erkundigte sich Schwartz behutsam.
»Ja. Er war mit dem Rad unterwegs. Wollte zum Dienst, eine Grenzpatrouille in Marienthal übernehmen, was weiß ich. Radfahren hält fit, hat er immer gesagt. Der Kerl hat nur solche Sprüche gemacht …« Tobi schwieg nachdenklich.
»Und dann hast du ihm erzählt, was mit Laila passiert ist?«
»›Diese Irre‹, hat er gesagt, nur: ›Diese Irre.‹ Mehr nicht.« Tobi schnäuzte sich. »Und mir war«, setzte er verbittert hinzu, »als hätte irgendwer in meinem Kopf einen Schalter umgelegt. Ich hab nur noch die Waffe gesehen, an seinem Holster, hier …« Er zeigte Schwartz, wo das Holster war. »… an seiner Hüfte. Und plötzlich hatte ich sie in der Hand. Er fiel fast vom Rad vor Schreck. ›Mach keinen Quatsch, mach keinen Quatsch.‹ Ja, was denkt der denn? Natürlich nicht! ›Hinknien‹, hab ich zu ihm gesagt und ihm dann die Waffe an die Schläfe gehalten.«
»Und abgedrückt«, nickte Schwartz.
»Ging ganz schnell.« Tobi sah auf seine Hände. »Danach erst wurde mir klar, was ich getan hatte. Also hab ich die Waffe gereinigt und sie ihm in die Hand gedrückt. Damit’s wie Selbstmord aussah. Das war vielleicht ein Schock, als wir später erfuhren, dass er Linkshänder war.«
»Ist dir das nie aufgefallen?«, fragte Schwartz. »Beim Grillen etwa, oder …«
»Nein«, Tobi schüttelte den Kopf, »da wäre ich nie draufgekommen. Wer achtet schon auf so was?«
Ja, zumal Kuhnt kein richtiger Linkshänder war. Den hätte man schon mal mit links schreiben sehen müssen, aber sonst … »Na gut.« Schwartz schaltete das Tonband ab. »Das wird jetzt protokolliert und dir anschließend zum Gegenzeichnen vorlegt, du kennst das ja.« Er rieb sich die Augen. »Tut mir leid.«
Tobi nickte etwas verkniffen. So, als ob er noch etwas sagen wollte. Doch er schwieg.
»Du wirst die nächsten Nächte in einer Zelle verbringen müssen.« Schwartz betätigte die Sprechanlage. »Wir sind fertig hier.«
»Tja«, Tobi erhob sich, »ich bin jetzt ein Mörder.«
»Das wird der Richter entscheiden.« Schwartz stand ebenfalls auf und brachte Tobi zur Tür, wo er von zwei uniformierten Beamten empfangen und abgeführt wurde.
Schwartz sah ihm nachdenklich nach und schloss dann die Tür. Nächster Fall! Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und schob die Akten beiseite. Mord Stefan Kaemper. Er drückte die Sprechanlage. »Vicky, noch wach?«
»Solange Sie nicht gehen, muss ich ja.«
»Schicksal, Vicky. Sind Sie nicht in der Gewerkschaft?«
»Nein, Chef. Von Gewerkschaften hab ich seit dem FDGB genug.«
»Ihr Pech. Die Polizeigewerkschaft setzt sich nämlich für eine Aufstockung des Personals gerade in den kleineren Polizeiinspektionen des Freistaates Sachsen ein.«
»Na, dann muss ich ja nur abwarten. Was wollten Sie denn?«
»Ich brauche einen Durchsuchungsbefehl für die Firma Paich-Transportlogistik GmbH in der Äußeren Weberstraße in Zittau und für die Privatwohnung des Roland Paich, Alte Burgstraße, Olbersdorf – haben Sie das?«
»Ich erreiche doch jetzt sowieso keinen Ermittlungsrichter mehr.«
»Machen Sie die Anträge trotzdem fertig, dann habe ich das gleich morgen früh.«
»Okay, Chef.«
»Danke.« Schwartz ließ die Sprechtaste los, da das Telefon zu läuten begonnen hatte, und nahm ab.
» KPI Görlitz?«
»Schwartz, sind Sie das?«, hörte man eine sonore Stimme durch den Hörer. »Hier ist Goldenbaum vom Grenzschutzamt Pirna, wir hatten uns kürzlich im Bautz’ner Schnitzelparadies getroffen.«
»Caesar Goldenbaum«, sagte Schwartz, »so spät noch im Dienst?«
»Sie wissen doch, Beamte haben immer Dienst. Gut, dass ich Sie erreiche.« Er senkte die Stimme. »Sagt Ihnen der Name Tom Pagels was?«
»Absolut nicht, nein.«
»Ein kleiner Mädchenhändler aus Bogatynia, hatte mal mit Kuhnt zu tun.«
»Verstehe«, sagte Schwartz. »Was ist mit dem?«
»Pagels sitzt in der GÜG an der Chopinstraße in Zittau und möchte gern verhaftet werden. Der Mann bangt angeblich um sein Leben und fühlt sich wohl im Knast sicherer als draußen. Ich dachte, Sie sollten das wissen, Schwartz, bevor das LKA davon erfährt.«
»Muss es denn davon erfahren?«
»Leider ja«, erwiderte Goldenbaum. »Sie wissen ja: der Dienstweg. Also machen Sie
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