Grenzwärts
erwiderte Julia.
»Ich dachte, du hättest etwas gesagt.«
»Hab ich auch.« Julia seufzte und strich sich genervt durchs Haar. »Dir ist das völlig egal, was?«
»Was?«
»Dass Kudella offensichtlich zu den Neonazis übergelaufen ist.«
»Wie kommst ‘n darauf?«
»Sieht man doch. Bomberjacke, Glatze. Voll der Fascholook. Und dann die Reichskriegsfahne über seinem Bett.« Sie tippte sich gegen die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet Kudella. Echt!«
»Der war doch schon immer militant«, entgegnete Roland. »Das Leben ist Kampf, hat er immer gesagt, schon vergessen? Wer nicht kämpft, stirbt.«
»Er war aber kein Rassist.« Julia sagte es mit Nachdruck. »Im Gegenteil. Er hat immer die Schwachen verteidigt.«
»Kommt drauf an, wen und was man für schwach hält.«
»Und du?« Julia sah Roland prüfend an und schob eine Haarlocke beiseite, die ihr ins Gesicht gefallen war. »Hast du auch was gegen Ausländer?«
»Ähm … Nö, wieso sollte ich?«
»Hätte ja sein können.«
»Es gibt eben hier ein paar Leute«, Roland blinkte links und bog vom Theaterring in die Pfarrstraße ein, »die haben mit Ausländern schlechte Erfahrungen gemacht.«
»Ach Gott! Tatsächlich?« Julia hob fassungslos die Hände. »Seltsam, denn ich habe gelesen, dass ihr hier im Osten kaum Ausländer habt. Null Komma zwo Prozent oder so. So doll können die schlechten Erfahrungen mit denen also nicht sein. Jedenfalls dürfte der Frust mit deutschen Zeitgenossen größer sein, oder? Und trotzdem hängt ihr euch nicht irgendwelche ›I hate Germans‹-Plakate an die Wand.«
»Ich höre immer ›ihr‹ und ›Osten‹.« Roland stoppte vor einem hübsch restaurierten Fachwerkhaus am Johannisplatz. »Hast du vergessen, wo du herkommst?«
»Dann wäre ich nicht hier.« Julia atmete tief durch. »War das nicht früher unsere Eisbar?«
»Ja.« Roland öffnete die Tür und stieg aus. »Aber jetzt sind die Alteigentümer zurückgekommen und haben aus dem Haus eine Pension gemacht. Und unten ist ein ganz ordentliches Restaurant. Der …«
»… ›Johannishof‹.« Auch Julia konnte lesen. »Und was machen wir hier?«
»Ich denke, du brauchst ‘ne Unterkunft«, Roland lächelte, »für heute Nacht.«
»Ich fürchte, nicht nur für heute Nacht.« Julia stieg ebenfalls aus dem Wagen und sah an der liebevoll renovierten Fassade hoch. »Sieht teuer aus.«
»Ich krieg hier Rabatt.« Roland versuchte, ihren Rucksack aus dem Porsche zu bekommen.
Julia starrte ihn an. »Was soll das? Willst du mich kaufen?«
»Dann hätte ich dich zu mir gefahren, Schatz!« Er stellte ihren Rucksack auf der Straße ab und grinste spöttisch. »Beruhige dich, ich spendier dir ‘n Zimmer, mehr nicht!«
»Ich will mir aber von dir nichts spendieren lassen!«
»Von mir aus!« Roland war sauer. »Dann schlaf halt auf der Straße.«
Er stiefelte um seinen Porsche herum und setzte sich wieder hinein.
Julia trieselte ihr Haar und haderte mit ihrem Stolz. Lass ihn fahren, sagte der, soll er verschwinden. Du hast es nicht nötig, dir von so einem Angeber etwas bezahlen zu lassen.
Der Motor des Porsche grummelte auf, und eine andere Stimme in Julia wurde zunehmend stärker: Sei nicht blöd, überleg dir, wie viel Geld du sparst, und das Haus sieht doch wirklich nett aus. Der Kerl hat genug Schotter, mach dir keine Gedanken.
Shit , dachte Julia und beugte sich zu Roland hinunter, bevor der losfahren konnte. »Das verpflichtet mich aber zu nichts.«
»Natürlich nicht. Für wen hältst du mich?«
»Keine Ahnung.« Sie zuckte mit den Schultern. »Für einen Ganoven, vermutlich.«
»Wieso?« Roland starrte sie an.
»Na, weil«, sie nahm ihren Rucksack, »kein Mensch unter fünfundzwanzig einen ehrlich verdienten Porsche fährt.«
»Wenn du dich da mal nicht irrst«, erwiderte Roland und folgte ihr.
5
»SIE KÖNNEN SICH JA NICHT VORSTELLEN, was wir hier für Geld reingesteckt haben.« Frau Rouché, eine zierliche Dame von rüstigen fünfundsechzig Jahren und die Wirtin des »Johannishof«, stieg die Treppe zur ersten Etage hinauf.
»Die Kommunisten hatten alles verfallen lassen«, sagte sie in ihrem kölschen Akzent, »wir haben praktisch neu bauen müssen.« Sie lief einen schmalen Gang entlang, von dem links und rechts Türen abgingen. Sie waren mit kleinen Emailleschildern nummeriert.
»Unser bestes Zimmer.« Sie öffnete die Tür mit der Nummer vier. »Ich hoffe, es ist zu Ihrer Zufriedenheit. Der Herr Paich hat uns ja schon auf Ihre
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