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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Ankunft vorbereitet.«
    Ach, hat er das, dachte Julia. Na prima, der wird sich noch wundern.
    »Sie sind aus Düsseldorf, nicht wahr?«
    »Ja, aber ich hab auch mal in Zittau gewohnt.« Julia sah sich in dem Zimmer um. Es war frisch renoviert. Viel Rosa und Himmelblau im Biedermeierstil. Wie eine Puppenstube. Das Barbiehaus lässt grüßen, dachte sie.
    Links stand ein großes Doppelbett, das von zwei Nachttischen mit Messinglampen eingerahmt wurde, rechts gab’s eine Schminkkommode mit großem, drehbarem Spiegel. Daneben ging es durch eine schmale Kammertür in ein recht geräumiges Duschbad. Geradeaus befand sich hinter einer kleinen, barock anmutenden Sitzgruppe mit Couchtisch ein dreiflügeliges Fenster, von dem aus man auf einen schmalen, ins Fachwerk des Obergeschosses eingefassten Balkon treten konnte.
    »Mein Mann ist auch Niederschlesier«, freute sich Frau Rouché, »er ist in diesem Haus geboren, und er wollte immer wieder hierher zurück. Ich war ja erst dagegen, wollte mit meinen zweiundsechzig Jahren nicht noch mal von vorn anfangen … Aber inzwischen hab ich mich daran gewöhnt, verstehnse, obwohl ich das gute, alte Köln doch ganz schön vermisse.« Sie öffnete die Balkontür und wandte sich dann wieder zu Julia um. »Kennen Sie Köln? Ich mein, die Düsseldorfer sind ja doch sehr eigen, was unser Köln angeht.«
    »Ich kenne Köln, Frau Rouché«, erwiderte Julia, »und ich finde es sehr, sehr schön. Vor allem den Karneval.«
    »Der ist besser als der Düsseldorfer, na, das will ich meinen«, bekräftigte Frau Rouché und ging wieder zurück zur Zimmertür. »Ich lege die Schlüssel hier auf die Kommode, nicht wahr. Der Große ist für die Haustür, weil ab zweiundzwanzig Uhr abgeschlossen wird. Wenn Sie was brauchen, rufen Sie einfach unten an.« Sie deutete auf das Telefon, das über der Kommode an der Wand angebracht war. »Hausgespräche kosten nichts, und nach draußen kommen Sie, wenn Sie die Null vorwählen. Wissen Sie schon, wie lange Sie bleiben wollen?«
    »Vermutlich ein Jahr!« Julia sah Roland triumphierend an. Na, Angeber? Es ist immer ein Fehler, Frauen mit Geld beeindrucken zu wollen. »So lange dauert mein Praktikum, und der Herr Paich wollte freundlicherweise die Rechnung übernehmen.«
    Roland erbleichte ein wenig, bewahrte aber die Fassung.
    »Fein«, fand das Frau Rouché und verabschiedete sich. »Dann will ich mal nicht weiter stören, nicht wahr. Ich wünsche einen schönen Aufenthalt!«
    Sie ging. Julia schloss hinter ihr die Tür und machte ein unschuldiges Gesicht.
    »Habe ich was Falsches gesagt?«
    »Ich wusste nicht, dass dein Praktikum ein ganzes Jahr dauert«, knurrte Roland und setzte sich auf die Bettkante.
    »Das ist nicht viel.« Julia lächelte. »Andere machen drei Jahre Praktikum.«
    »Dann hab ich ja richtig Glück. Und worum geht’s?«
    »Soziologie. Ich erforsche den Umbruch einer Gesellschaft, die tief greifenden Veränderungen unterworfen ist und die Normen und Regeln ihres Zusammenlebens neu definieren muss. Dies am Beispiel des …«, Julia lehnte sich an die Kommode und verschränkte die Arme, »… Podtsch e.V. – kennst du den?«
    »Ja, das ist so ‘ne Multikulti-Truppe«, antwortete Roland, »linksalternative Spinner.«
    »Na, wenigstens keine Nazis.« Julia öffnete unmissverständlich die Zimmertür. »Ich hab eine lange Fahrt hinter mir und würde jetzt gern alleine sein.«
    »Du schmeißt mich raus?«
    »Genau. Ich schmeiße dich raus. Was du jetzt sicher furchtbar unanständig findest, wo du mir doch die Puppenstube hier zahlst. Aber ich habe dich nicht darum gebeten. Und falls es dein Budget sprengt, ziehe ich gerne auch woandershin. Ich kann durchaus für mich selbst sorgen.«
    »Lass mal, ist schon okay.« Roland warf einen Blick auf seine Rolex und erhob sich. »Ich muss sowieso los. Sehen wir uns heute Abend?«
    »Sehen wir uns heute Abend«, äffte sie ihn spöttisch nach. »Um  was  miteinander zu tun?«
    Roland lächelte Don-Johnson-mäßig. »Nur, was du willst.«
    »Ich will aber nicht.« Sie schob ihn zur Tür und hinaus auf den Flur. »Danke für die Herfahrt. Ciao, ciao!«
    Er ging, und sie war endlich allein. Zeit, sich zu sortieren. Julia schloss die Zimmertür, trat auf den Balkon und atmete tief durch.
    Gegenüber erhob sich der gewaltige graue Bau der Kirche Sankt Johannis. Wie oft hatten sie im Schatten der Türme gesessen, als es die Eisbar noch gab. Die war immer rappelvoll gewesen, vor allem sonntags. Familien

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