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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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missbilligend an, »sondern Asylbewerber. Du solltest aufhören, dich der Sprache der reaktionären Kräfte in diesem Land zu bedienen.«
    Und da machte es klack. Plötzlich wusste Julia, wem sie gegenüberstand.
    »Sag mal, bist du nicht …« Sie überlegte. »… die Uta?«
    »Utta«, wurde sie vom grünen Bürstenschnitt verbessert, »mit Doppel-t. – Wieso fragst du? Kennen wir uns?«
    Und ob, dachte Julia. Zu Zeiten der  DDR  fungierte jede Schule gleichzeitig als Grundorganisation der  FDJ , war also die Basis der Kampfreserve der Partei, wie sich die Freie Deutsche Jugend damals nannte. Und die Leitung dieser Basis war die Grundorganisationsleitung, die  GOL . Auch an Julias Schule gab es eine  GOL . Und deren damalige Leiterin stand jetzt vor ihr.
    »Wir waren an derselben Schule«, sagte Julia und zögerte einen Moment. » POS  ›Fritz Heckert‹. Du warst unsere  GOL -Vorsitzende.«
    Der Bürstenschnitt trat einen Schritt zurück und fixierte Julia mit leicht geneigtem Kopf.
    »Stimmt«, sagte sie nach einer Weile, »ich kenn dich auch.«
    »Julia.« Sie hatte ihren Zeigefinger jetzt fest in ihren Haaren verwickelt. »Julia Latte!«
    »Aus der Achten«, stellte die ehemalige  GOL -Vorsitzende unterkühlt fest. »Ihr seid doch damals in den Westen gegangen.«
    »Gegangen worden«, verbesserte Julia, »wir galten euch als politisch zu unzuverlässig.«
    »Und?« Der Bürstenschnitt lauerte wie eine Katze. »Willste dich jetzt rächen?«
    »Habe ich dazu einen Grund?«
    »Weiß nicht. Hast du?«
    »Ich wollte hier ein Praktikum machen.« Julia befreite ihren Finger aus den Haaren und straffte sich. »Nur deshalb bin ich hier. Ich will nächstes Jahr Soziologie studieren. Den Platz bekommt man besser mit abgeschlossenem Praktikum. Ich hab mich hier beworben und eine Zusage bekommen.« Mit leicht zittriger Hand gab sie das Papier ihrer ehemaligen  GOL -Vorsitzenden.
    Die sah nur kurz drauf, dann entspannte sich ihr Gesicht ein wenig. »Fein«, sagte sie, »ich bring dich mal zu unserer Sekreteuse.« Sie wies den Gang hinunter. »Gehen wir?«
    »Gern.« Julia lief hinter dem Bürstenschnitt her. Utta, wie hieß sie nur weiter? Utta, Utta, Utta …
    Damals wurde sie von allen nur »Margots Frisurendouble« genannt, weil sie häufig mit verunglückten Dauerwellen in die Schule kam, die denen der Gattin des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker verblüffend ähnelten.
    »Hast übrigens ganz recht«, sagte das ehemalige Frisurendouble nach einer Weile. »Es muss heißen: Schluss mit der systematischen Diskriminierung …«
     

6
    »HOSEBEMBERLE?«
    So nannte sie ihn seit seiner Geburt. Nicht Romeo, nicht Junge, Schatz oder wie auch immer, nein, er war das Hosebemberle. Seit sechsunddreißig Jahren. Er hatte es ihr nicht abgewöhnen können und sich wohl auch daran gewöhnt.
    Oma hockte erstaunt im kleinen Kartoffelacker hinter ihrem Haus und wischte sich die Hände an der Kittelschürze ab. »Ist heute nicht Montag?«
    Schwartz nickte. Normalerweise kam er immer sonntags. Erst gestern war er zum Kaffee da gewesen. Und nun schon wieder, das verwirrte die alte Frau natürlich. Jeden anderen hätte er vorgewarnt und angerufen, aber Oma weigerte sich strikt, ein Telefon anzuschaffen. Obgleich das jetzt möglich war, seit knapp einem Jahr wurden in ganz Dittelsdorf problemlos entsprechende Anschlüsse verlegt. Aber Oma wollte nicht. Ein Telefon komme ihr nicht ins Haus, hatte sie gesagt, niemals, das fehlte ja noch!
    »Stell dir vor, es ruft jemand an! Dann muss man jedes Mal rangehen. Ohne zu wissen, wer dran ist. Und wenn man schmutzige Hände hat? Abwäscht oder seinen Mittagschlaf macht? Nee, nee, Hosebemberle, schlag dir das mal aus dem Kopp. Ich brauch kein Telefon.«
    »Ich hab dienstlich in der Gegend zu tun«, erklärte er ihr, »hat sich heute erst ergeben.«
    »Die Geschichte mit der Kroatin«, fragte Oma und kam ächzend aus dem Kartoffelacker, »von der du gestern erzählt hast?«
    »Ja«, nickte Schwartz, »ich hab den Job.«
    »Lohnt sich denn das?« Oma rieb Daumen und Zeigefinger aneinander.
    »Vielleicht irgendwann«, antwortete Schwartz. »Immerhin arbeite ich fürs Landeskriminalamt.«
    »Hört sich gut an«, fand Oma. »Ziemlich wichtig, nicht?« Sie wartete die Antwort nicht ab und stapfte zum Haus. »Siehst hungrig aus, ich mach dir erst mal was zu essen.«
    Wenig später saßen sie in der gemütlichen niedrigen Blockstube des über zweihundert Jahre alten Umgebindehauses, das so

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