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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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aufgefallen. Obgleich er jede Woche Stoffe lieferte. Oma arbeitete damals in einer kleinen Zittauer Schneiderei, und Opa verdiente sich als Fahrer einer Wollweberei etwas dazu. Hauptberuflich war er Lohnbuchhalter bei den Olbersdorfer Braunkohlewerken. Die zahlten zwar ganz gut, doch Opa hatte viel vor. Schließlich wollte er Oma erobern.
    »Und ich war nicht leicht zu haben, Hosebemberle.«
    »Das bin ich auch nicht«, versicherte Schwartz.
    »Aber du bist sechsunddreißig«, barmte Oma, »es wird Zeit, dass du mal wieder ‘ne Freundin mitbringst. Wie hieß sie noch, die letzte?«
    Susan. Schwartz dachte mit Grausen an sie zurück. Susan hätte ihn beinahe um den Verstand gebracht. Sie war genauso schön wie zielstrebig und wollte unbedingt in den Westen. Während eines gemeinsamen Urlaubs vor vier Jahren am Balaton war sie über Nacht nach Österreich getürmt. Schwartz kam allein in die  DDR  zurück. Und musste sich Susans Vater stellen, einem Ostritzer Parteisekretär mit guten Kontakten zum MfS. Der Mann setzte alle Hebel in Bewegung, um Schwartz zu vernichten. Er war der Kerl, der die Tochter nicht zurückbrachte, und das sollte er büßen. Fast hätten sie ihn aus der Volkspolizei geschmissen. Doch die Wende kam dazwischen, und Romeo Schwartz war gerettet.
    »Mal wieder was von ihr gehört?«
    »Von wem?« Schwartz sah auf. »Susan? – Nee.« Er schüttelte den Kopf. »Nie wieder.«
    »Und ihr Vater? Der dir damals so zugesetzt hat?«
    »Ist auch in den Westen gegangen«, antwortete Schwartz, »gleich nach dem Mauerfall.«
    »Na ja«, Oma wiegte den ergrauten Lockenkopf, »vielleicht hat er seine Tochter vermisst.«
    »Ganz bestimmt.« Schwartz schob den Teller von sich. »Ich werde wohl ein paar Tage hierbleiben.«
    »Dann beziehe ich dir schon mal das Bett.« Oma erhob sich. »Reicht die Steppdecke, oder willst du schon das Federbett?«
    »Ich weiß nicht. Wie kalt ist es denn nachts?«
    »Es wird immer kälter, Hosebemberle, das hat der Herbst so an sich.« Sie lächelte ihn gutmütig an, »ich mach dir das Federbett«, und stieg ächzend die Stiege ins Obergeschoss hinauf.
    Schwartz rieb sich den Bauch. Er war pappsatt. Und sehr froh, mal wieder einige Tage zu Hause zu sein. Zwar liebte er seine kleine Dresdner Mansardenwohnung am Bassinplatz, aber zu Hause – das war hier. Bei Oma im schönen Dittelsdorf.
    Gern hätte er sich jetzt hingelegt. Um anderthalb Stunden später mit selbst gebackenem Pflaumenkuchen und frischem Kaffee geweckt zu werden, einem »Schälchen Heeßen«, wie man in Dresden zu sagen pflegte. Aber er war im Dienst, und das hieß: Ermitteln. De Orbeed rufd, sozusagen.
    Die Arbeit ruft?
    Och, nö. Schwartz reckte sich. Nööö!
    Er war gerade erst angekommen. Und ziemlich müde. Und nach dem Nickerchen sicher wieder hungrig. Auf leckeren Pflaumenkuchen mit süßer Sahne. Dazu ein Käffchen, schwarz, mit ein klein wenig Zucker. Das würde ihn wieder auf die Beine bringen. Aber dann war es bestimmt vier Uhr am Nachmittag. Zu spät für Görlitz.
    Und als er vorhin vorm Haus gehalten hatte, war ihm gleich der abgeblätterte Firnis am Balken über der Tür aufgefallen. Das sollte unbedingt gemacht werden, bevor der Winter anbrach. Noch war das Wetter schön, sonnig und trocken. Es war sogar Firnis in der Garage, eine ganze Dose, nicht mal angebrochen.
    Schwartz gähnte zufrieden. Genau so würde er es machen. Erst ein Nickerchen und nach dem Kaffee den Balken ausbessern. Abschleifen und neu streichen.
    Für Ermittlungen war morgen auch noch Zeit.

7
    WIE RIESIGE   STÄHLERNE DINOSAURIER  fraßen sich Eimerketten- und Schaufelradbagger an das alte Dorf heran. Einer schmalen Halbinsel über einem Abgrund gleich ragte es in den Tagebau hinein. Längst waren die Häuser von ihren Bewohnern verlassen worden. Die Gehöfte verfielen. Wenige Wochen noch, dann würden die Bagger den kleinen Ort verschlungen haben.
    Unter einer verdorrten Linde am ausgetrockneten Dorfteich standen die Bau- und Werkstattwagen der Braunkohlekumpel herum. Musik war zu hören. James Browns »Sex Machine«. Sie kam aus einem auffällig umgebauten alten Linienbus, der wie ein Fremdkörper etwas abseits geparkt war. Rote Liebesherzen auf nachtblauem, mit goldenen Sternen verziertem Untergrund, samtrote Plüschvorhänge an den Fenstern. » PURE DREAM « stand in rosaroten Lettern auf den Flanken des Busses und » SEX ‘N NIGHTLIFE «.
    Stefan Kaemper war Ende vierzig. Ein gescheiterter Reeperbahnlude, den die Flucht

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